Widerstand - Neue Hochspannungsleitungen?
Überall im Lande planen Stromversorger den Bau neuer Hochspannungsleitungen. Natur- und Landschaftsschutz werden meist ignoriert. Oftmals könnte durch rechtzeitige Maßnahmen zum Stromsparen und Blockheizkraftwerke der Bau von neuen Leitungen überflüssig werden. Werner Neumann berichtet über die Tricks der EVU und die Alternativen.
(06. Juli 2007) Trotz stagnierendem Absatz werden neue Leitungen mit steigendem Strombedarf begründet. Teils sind es ländliche Regionen, in denen durch zusätzliche Wohngebiete oder Gewerbeansiedlung der Verbrauch entgegen dem allgemeinen Trend stärker anwächst. Teils sind es Querverbindungen und Ringschlüsse im vorhandenen Netz. Energiewirtschaftliche Alternativen werden systematisch ausgeblendet.
Teile und herrsche
Den Stromversorgern gelingt es oft, den Widerstand der Bürger vor Ort aufzuspalten. Mit dem Ruf "ohne Leitung gehen die Lichter aus" wird ein Teil der Bevölkerung auf den Bau der Leitung eingestimmt. Bürgermeister sehen sich oft in einer Zwickmühle. Mehr Gewerbe bringt mehr Steuern und Gewerbe braucht Strom.
Mehr Stromverbrauch erhöht zudem die Konzessionseinnahmen. Andererseits werden oft die schönsten Gebiete der Gemeinde mit Freileitungen verunziert. Auch Naturschutzverbände sind sich nicht immer einig. Da sie mit den stromwirtschaftlichen Argumenten kaum schritthalten können, versuchen die Stromversorger sie mit Ausgleichszahlungen für Biotope ruhigzustellen.
Im bisherigen Energierecht gab es zumindest noch eine Anzeigepflicht bei den Energieaufsichtsbehörden der Länder. Diese konnten jedoch nur prüfen, ob die geplante Leitung dem Zweck einer sicheren Versorgung dient. Alternativen wie Stromsparen und Blockheizkraftwerke konnten den EVUs nicht vorgeschrieben werden. Mit dem neuen Energierecht ist auch diese Prüfung ersatzlos entfallen.
Vor diesem Hintergrund konzentriert sich der Bürger-Protest vorrangig auf die Trassenführung oder die Alternative einer Verkabelung. Unterschiedliche Trassenvorschläge bieten dem EVU eine weitere Möglichkeit, den örtlichen Protest zu spalten. Die Bürger in A-dorf hätten gerne die Leitung an B-Stadt vorbeigeführt, jene sehen es umgekehrt.
Umweltprüfung Fehlanzeige
Ausgetragen wird der Streit um die Trassenführung in Raumordnungsverfahren, die nach dem jeweiligen Landesplanungsrecht durchgeführt werden müssen. In diesem Verfahren müssen sämtliche Auswirkungen auf Natur und Landschaft, Einsehbarkeit der Trassen, Biotope, Flora, Fauna und Landwirtschaft für alle Varianten gutachterlich untersucht und bewertet werden.
Bürger/innen können sich per Einwendung in das Verfahren einschalten und ihren Protest in Anhörungen vortragen. Da sich allerdings die Wahl zwischen verschiedenen Freileitungstrassen oft als Wahl zwischen Teufel und Beelzebub erweist, stellt sich als weitere Alternative die Verlegung der Leitung unter der Erde (Verkabelung).
Gegen die Verkabelung von 110 kV-Leitungen fahren die Stromversorger starke Geschütze auf. Hinsichtlich der Versorgungssicherheit sind Ausfälle von Kabeln zwar deutlich weniger wahrscheinlich als bei Freileitungen. Eine Reparatur dauert jedoch erheblich länger. Neben Aspekten des elektrischen Betriebs, wie Kurzschlussfestigkeit usw. führen die EVU die höheren Kosten einer Verkabelung ins Feld. Sie behaupten, dass eine Verkabelung um das fünf- bis zehnfache teurer sei als eine Freileitung.
Spätestens an diesem Punkt knicken örtliche Politiker ein. Das könne man den Unternehmen trotz millionenschwerer Gewinne ja nicht zumuten. Bleiben einige Politiker renitent, helfen schon mal Parteigänger aus Aufsichtsräten und Beiräten des Stromunternehmens etwas nach. Zudem dauern solche Verfahren mit allen Abstimmungen, Auslegungen, Erörterungen usw. meist einige Jahre und da fällt es vielen schwer, dauerhaft den Widerstand aufrechtzuerhalten. Der Druck auf die Bürgerinitiativen geht bis zu persönlichen Diffamierungen durch das EVU. Von einigen wenigen, die sich nicht einschüchtern lassen, soll daher berichtet werden.
Verkabelung kostet weniger als behauptet wird
Der Fall Tuttlingen-Friedingen: Seit 1988 plant die EVS/EnBW eine 15 km lange 110 kV-Freileitung mit bis zu 60 m hohen Masten durch das landschaftlich reizvolle obere Donautal. 1992 genehmigte das Regierungspräsidium den Bau ohne Prüfung von Bedarf und Umweltverträglichkeit.
Die Bürgerinitiative "Oberes Donautal" entdeckte daraufhin, dass ein vorhandenes 20 kV-Kabel nicht berücksichtigt wurde. Nachdem eine Klage der Stadt Tuttlingen nicht gegriffen hatte, haben nun über 130 betroffene Bürger Klagen gegen die Enteignung eingereicht. Trotz laufender Klagen hat die EVS die Masten schon errichtet. Ein Gutachten zeigt, dass die Verlegung eines 110 kV- Einfachkabels plus 20 kV-Kabel technisch möglich ist und nur etwa zweimal teurer ist als die Freileitung. Im Remstal (Schorndorf) soll eine 13 km lange Freileitung mit bis zu 85 m hohen Masten über einen Wald geführt werden. Bei Bad Urach soll eine Freileitung mit 70 m hohen Masten über lange Strecken die landschaftlich reizvolle Schwäbische Alb überspannen, obwohl eine weitaus kürzere Kabeltrasse nur wenig teurer wäre.
Der Fall Altenstadt-Büdingen:
Dreißig Kilometer nordöstlich von Frankfurt plant die PreussenElektraAG eine 8 km lange 110 kV-Freileitung direkt an einem Naturschutz- und Auengebiet. Entgegen der Behauptung 6-7 mal höherer Kosten ist tatsächlich die Kabelvariante (24 Mio. DM) nur etwa doppelt so teuer wie die Freileitung (12 Mio. DM). Nimmt man die Schäden an Natur- und Landschaft hinzu, liegen diese bei der Freileitung bis zu 100 Mio. DM höher.
Keine Panik! Die zulässigen Grenzwerte werden bei weitem nicht erreicht!
Entgegen gesetzlicher Vorschriften wurden Umweltbelange im Raumordnungsverfahren ignoriert. Das Regierungspräsidium genehmigte die Freileitung. Nun stehen Klagen Betroffener an. Hauptgegenargument des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) war ein Stromsparprogramm. Hierdurch soll gezielt der Spitzenbedarf (17-20 Uhr) gesenkt werden. Mit tausenden von Stromsparlampen, mit der Abschaltung überflüssigen stand-by- Verbrauchs, sparsamen Haushaltsgeräten, dem Herunterstellen von Heizungspumpen und Spitzenlastabwurf beim Gewerbe könnte die Spitzenlast im Netz von 20 MW auf 14 MW gesenkt werden. Die Leitung würde überflüssig.
Das Stromsparprogramm wäre mit 6 Mio. DM noch weitaus kostengünstiger. Zudem würden Umwelt- belastungen durch Strom deutlich zurückgehen. Es wäre eine ausgezeichnete "least cost planning" -Maßnahme: Stromeffizienz ist billiger als der Bau der Leitung. Der BUND startete im ganzen Wetteraukreis eine Stromsparkampagne mit dem Titel "Spar WATT ein". In zahlreichen Stromsparanalysen zeigte sich: Binnen weniger Wochen kann der Stromverbrauch in Haushalten um 30% gesenkt werden.
Alternativen überzeugen
Der Fall Limburg-Kriftel: Die RWE plant entlang des Taunus eine alte 220 kV-Leitung auf 380 kV "aufzurüsten". Ziel ist eine Verstärkung des Stromtransports zwischen Ruhrgebiet und Hessen (Biblis). Im Erörterungsverfahren zeigten die Bürger mehr Sachverstand als das RWE.
Ohne Beeinträchtigung der Versorgungsziele könnte eine 380 kV-Leitung einer westlich gelegenen, vorhandenen Trasse hinzugefügt werden. Konsequenz wäre, die vorhandene 220 kV-Leitung nicht aufzurüsten, sondern komplett abzubauen. Die Argumente der Bürger und Verbände sind hier so stark, dass das RWE signalisiert, auf deren Vorschläge einzugehen. Das wäre ein großer Erfolg für die örtlichen Initiativen.
Freie Bahn für Freileitungen
In zahlreichen Fällen konnten die Argumente der EVU widerlegt werden. Vielfach würden zusätzliche 20 kV-Kabel anstelle einer 110 kV-Leitung ausreichen. Wäre eine 110 kV-Leitung erforderlich, ist eine Verkabelung technisch machbar und unter Einbeziehung von Umweltfolgekosten deutlich günstiger. Bei Pfronten (Allgäu) wurde eine 7,5 km lange 110 kV-Leitung zusammen mit einer Erdgasleitung verkabelt und sogar durch einen See geführt.
Allen guten Argumenten zum Trotz lassen jedoch die Behörden den Stromkonzernen freien Lauf. Vorschriften der Naturschutz- und Planungsgesetze, Vorgaben, die Alternativen der Verkabelung (und auch die "Null-Variante") zu prüfen, werden ignoriert. Anstelle gesetzeskonformen Handelns verweisen die Behörden betroffene Bürger oft auf langwierige und teure Gerichtsverfahren.
Freileitung nur Vorwand
So wächst bei den Initiativen gegen die Freileitungen ein ganz anderer Verdacht. Die für den örtlichen Bedarf mit 100 - 200 MW total überdimensionierten 110 kV-Leitungen dienen der überregionalen Vernetzung und dem Ferntransport. Eine 110 kV-Leitung kann leicht auf 380 kV aufgerüstet werden, Stichleitungen können verlängert werden. Im "liberalisierten Markt" soll die "Kundenbindung" gesichert werden: Wer mit einer eigenen Leitung vor Ort ist, hat das faktische Monopol, die Durchleitung anderer kann behindert werden.
Zudem bieten Freileitungen die Möglichkeit, Datenkabel mit aufzulegen. Mit dem Konzept von Nortel und Dasa sollen zukünftig die Stromleitungen selbst zu Hochleistungs-Datenleitungen werden: Zählerablesung und Internet direkt durch die Steckdose. Hier liegen die wirklichen Zuwachsmärkte, in denen alle Stromversorger stark engagiert sind. Hier schafft jede neue Leitung ein neues Monopol. Von Kontroll- und Überwachungsfunktionen ganz zu schweigen. Außerdem geht es ums Prinzip: Wo kämen wir hin, wenn Bürgerinitiativen mit ihren guten Argumenten in Sachen Stromsparprogramme, örtlichen Konzepten mit BHKW oder in Bezug auf die Verkabelung recht bekommen würden?
Kooperation der Initiativen
Bislang kämpften viele Initiativen allein. Die Stromversorger hatten gute Karten, weil sich die Bürger jedesmal erneut in die komplexen Fragen einarbeiten mußten. Nun haben sich mehrere Initiativen v.a. aus Baden-Württemberg zusammengetan.
Perspektive ist eine bundesweite Abstimmung und der Austausch von Erfahrungen. Dies könnte örtlichen Politikern Rückenwind geben, dass man nicht vor den Stromversorgern in die Knie gehen muss. Wer daher Kenntnisse über weitere Freileitungsplanungen oder Bürgerinitiativen hat, gebe bitte die Informationen und Kontaktadressen an den "Bund der Energieverbraucher, Arbeitskreis Freileitungen" weiter.