ED 01/13 Die 1.000-Watt Lösung von Köln (S.17)
ED 04/13 Zählertausch: Großbritannien wird smart (S.23)

Stromnetze neutralisieren

Strommarktdesign als Sektordesign

Bevor der Strom-Wärme-Sektor auf der Höhe der Zeit angekommen ist, gilt es, einige Grundsätze ökonomischer Lehrbücher zu hinterfragen und Versorgungssicherheit von unten nach oben zu denken.
Von Uwe Leprich

(27. April 2023) Man musste in den letzten Jahren den Eindruck gewinnen, dass der in den 1990er-Jahren gestaltete Ordnungsrahmen des liberalisierten Stromsektors ähnlich in Stein gemeißelt war wie vorher das deutsche Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935. Jeder noch so gravierende Einwand, dieses Design sei nun wahrlich nicht mehr auf der Höhe des dekarbonisierten, erneuerbaren und digitalisierten Zeitalters, prallte ab wie an einer Gummiwand.

1680 Uwe Leprich

Uwe Leprich ist seit 1995 Hochschullehrer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und leitete von April 2016 bis März 2018 die Abteilung Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes.

War es seinerzeit die Europäische Kommission in Brüssel, die das durch das EnWG über 60 Jahre lang abgesicherte Konzernkartell knackte, sind es nun eine Reihe von Mitgliedstaaten, die angetreten sind, die Brüsseler Orthodoxie aufzubrechen – nicht zuletzt aus der Motivation heraus, den exorbitanten „Zufallsgewinnen“ der Stromerzeuger zuungunsten der Verbraucher einen Riegel vorzuschieben.

Auch wenn die deutsche Bundesregierung sich hier bislang nicht als besonders engagiert hervorgetan hat, hat sie doch im Januar einen Stakeholderprozess aufgesetzt, um die europäische Diskussion zum zukünftigen Strommarktdesign zu begleiten und möglichst zu beeinflussen. Die entsprechende Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ hat mit Verspätung Ende Februar ihre Arbeit aufgenommen.

Sektor- statt Marktdesign

Zunächst ist es weit mehr als ein sprachliches Ärgernis, den hochkomplexen Stromsektor mit seinen infrastrukturellen Voraussetzungen, seinen differenzierten Auflagen zur Versorgungssicherheit und seinen sonstigen regulatorischen Anforderungen zum „Strommarkt“ zu verzwergen.
Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Schlüsselbereiche des immer stärker kombiniert zu betrachtenden Strom-Wärme-Sektors („Sektorkopplung“) und seine aktuellen Herausforderungen.

1680 Abbildung 1: Der komplexe Strom-Wärme-Sektor / Quelle: Uwe Leprich

Strom-Wärme-Sektor neu gedacht

Der im Januar von der EU gestartete Konsultationsprozess bietet nach all den Jahren endlich Gelegenheit, mit den „Lebenslügen“ der Lehrbuchökonomen und Marktgläubigen aufzuräumen und einen Strom-Wärme-Sektor auf der Höhe der Zeit zu gestalten.

Dies betrifft besonders folgende Irrtümer:

  1. Der grenzkostenorientierte einheitliche Großhandelsmarkt sichert Investitionen in Neuanlagen,
  2. die erneuerbaren Energien müssen sich mittel- bis langfristig über den grenzkostenorientierten Großhandelsmarkt finanzieren,
  3. Versorgungssicherheit muss auf zentraler Ebene durch eine „Kupferplatte“ und damit verbunden einen zentralisierten Angebots-Nachfrageausgleich sichergestellt werden,
  4. ökonomische Lehrbucheffizienz ist das Königskriterium für die Ausgestaltung der Energiesektoren.

Hinzu kommen die überfällige Berücksichtigung der spektakulären Kostenentwicklungen im Bereich dezentraler Technologien wie Photovoltaik und Batteriespeicher, extrem ehrgeizige politische Zielsetzungen beim Ausbau dieser Technologien, die zunehmende Elektrifizierung des Wärmesektors (Wärmepumpen) und die dortige Verwendung dezentralen Überschussstroms (etwa in Power-to-X-Anlagen). Außerdem ermöglicht die fortschreitende Digitalisierung immer intelligentere regionale und lokale Systemlösungen für einen dezentralen Angebots-Nachfrage-ausgleich.

Independent System Operator statt EOM

Abbildung 2 gibt eine grobe Einschätzung der geringen Beiträge, die der grenzkostenorientierte Stromgroßhandelsmarkt (Energy-Only-Markt/EOM) im Hinblick auf die Finanzierung der Elemente des künftigen Stromsektors leisten kann:

Folgt man dieser Einschätzung, so reduziert sich die Rolle des EOM auf die eines Kurzfristmarkts, der den Einsatz bestehender Anlagen nach der Höhe der Grenzkosten koordiniert. Für die Finanzierung der Kapitalkosten der notwendigen Anlagen ist dieser Markt letztlich zu vernachlässigen, wie mittlerweile immer mehr Analysten erkennen. Letztlich haben die Einnahmen an der Strombörse in der Perspektive den Charakter eines „Zubrotes“, das man gerne mitnimmt, wenn die Finanzierung anderweitig gesichert ist.

1680 Abbildung 2: Finanzierungsmodelle / Quelle: Uwe Leprich

ISO sichert Finanzierung

Die Finanzierung der notwendigen neuen Anlagen wird, so ein Diskussionsvorschlag, von einem neuen Schlüsselakteur sichergestellt, dem Independent System Operator (ISO). Er hat folgende Aufgaben:

  • Koordination der Ausschreibungen für Erneuerbare- und KWK-Anlagen gemäß des Zielkorridors der Bundesregierung (bislang Bundesnetzagentur),
  • Organisation des Geldflusses zu diesen Anlagen wie heute über die Netzbetreiber,
  • Koordination der Ausschreibungen für Flexibilitätskapazitäten gemäß einer jährlichen Leistungsvorausschau,
  • Organisation des Geldflusses zu diesen Anlagen in Form fixer Kapazitätsvergütungen,
  • gegebenenfalls Überprüfung des Abrufs der Flexibilitätskapazitäten day-ahead durch die Übertragungsnetzbetreiber nach Grenzkosten.

Mitunter wird eingewendet, eine Koordinationsaufgabe, wie sie hier dem ISO auferlegt wird, lasse sich nur vom „Markt“ erbringen. Dies verkennt jedoch die Möglichkeiten, die sich heute durch ausgereifte IT-Systeme eröffnen. Das beweisen bereits die komplexen Fahrpläne, die von den Übertragungsnetzbetreibern täglich zu erstellen sind. Zudem würde der ISO eng mit den Bilanzkreisverantwortlichen zusammenarbeiten, deren Anforderungskatalog erweitert werden müsste.

Zentrales Element zur Versorgungssicherung sind die oben aufgeführten Ausschreibungen für Flexibilitätsoptionen und mögliche zusätzliche Ausschreibungen für Reservekapazitäten durch die Regelzonenverantwortlichen. Stehen sie dem System ausreichend zur Verfügung, können die Übertragungsnetzbetreiber in ihren Regelzonen bei Bedarf darauf zurückgreifen. Da es in Deutschland vier Regelzonen mit unterschiedlichen Übertragungsnetzbetreibern und heterogenen Anteilseignern gibt, sollte der Independent System Operator (ISO) als Hauptverantwortlicher für die Versorgungssicherheit benannt werden.

Versorgungssicherheit von unten nach oben

Zur Unterstützung dieser Aufgabe und um den Druck auf einen ausreichenden und pünktlichen Netzausbau abzumildern, sollten Systeme für einen dezentraleren Angebots-Nachfrageausgleich nach Kräften unterstützt werden. Dazu gehören Anreize für ein optimiertes Netzlastmanagement im Verteilnetzbereich unter systematischer Einbeziehung dezentraler Optionen und einer Gesamtoptimierung von Strom-, Gas- und Wärmenetzen. Außerdem ein straffes Regelwerk für den Bilanzkreisausgleich mit der nachweislichen Nutzung dezentraler Optionen, die Unterstützung von Quartierskonzepten mit einem hohen Autonomiegrad, die Ausweitung von Mieterstromkonzepten oder auch die Einrichtung von Subregelzonen immer dort, wo die regionalen Potenziale diese Möglichkeit bieten.

1680 Abbildung 3 Neue Paradigma einer energiewirtschaftlichen Subsidiarität / Quelle: Uwe Leprich

Abbildung 3 skizziert das neue Paradigma einer energiewirtschaftlichen Subsidiarität, die der veränderten Verantwortung für die Versorgungssicherheit Rechnung trägt:

Sektordesign der Zukunft

Im Gefolge der Liberalisierung wurden vor allem die Lehrbuchökonomen nicht müde uns einzureden, dass die ökonomische Effizienz im Sinne der Wohlfahrtstheorie das dominierende Kriterium bei der Gestaltung der Energiesektoren sein müsse. Ganz dem neoliberalen Zeitgeist erlegen machten sich auch die Politiker dieses Diktum zu eigen. In Krisenzeiten wie der heutigen bietet sich schließlich die Chance, diese ökonomistische Perspektivverengung aufzubrechen und stattdessen Kriterien wie Resilienz, Akzeptanz oder soziale Gerechtigkeit in das Zentrum eines zukunftsgerichteten Sektordesigns zu stellen. Gewichtet man diese Kriterien angemessen hoch, spricht alles dafür, sämtliche Weichen für eine deutlich stärkere Dezentralisierung des Strom-Wärme-Sektors zu stellen.

Die „groß angelegte“ (EU-Kommission) Reform des Stromsektors bietet die Gelegenheit, diesen in Kombination mit dem Wärmesektor nachhaltig und zukunftssicher zu gestalten. Der Kompass dafür sollte den drei „D“-Herausforderungen Rechnung tragen: Dekarbonisierung, Digitalisierung und Dezentralisierung. Das setzt den politischen Willen voraus, die bisherigen inkrementellen Schneckenpfade zu verlassen und konzeptionell Neuland zu beschreiten.

Die Regeln des Strommarktes

Nach welchen Regeln funktioniert der Strommarkt? Wolf von Fabeck hat dazu eine gut lesbare Einführung verfasst, die wir mit seiner freundlichen Genehmigung hier nachdrucken.

Die Regeln des Strommarktes

Nach welchen Regeln funktioniert der Strommarkt? Wolf von Fabeck hat dazu eine gut lesbare Einführung verfasst, die wir mit seiner freundlichen Genehmigung hier nachdrucken.
Wir ehren damit sein erfolgreiches Engagement für die Energiewende und gratulieren unserem langjährigen Mitglied zum 80. Geburtstag.

1680 Wolf von Fabeck und Dr. Aribert Peters

Wolf von Fabeck zu Besuch in der Bundesgeschäftstelle in Unkel

(8. Mai 2015, ergänzt am 24. Juni 2015)

Haben Sie sich schon einmal vergegenwärtigt, dass das europäische Stromverbundnetz eine riesige Maschine ist, an deren „Schalthebeln“ fast 500 Millionen Menschen Einstellungen vornehmen können? Es handelt sich um eine der größten Maschinen dieser Welt; eine Energieverteilungs-Maschine!

Schon kleine Kinder dürfen diese Maschine bedienen. Sie dürfen das Licht oder den Staubsauger einschalten und siehe da, die Maschine funktioniert wie gewünscht. Eine besondere Ausbildung brauchen die Millionen Bediener nicht und trotzdem funktioniert sie (fast) immer richtig. Eine beeindruckende Angelegenheit!

Kaum jemand stellt die Frage, nach welchen Regeln das Stromverbundnetz, unsere Elektro-Monstermaschine, eigentlich bedient wird. Müssen die Bediener das Ohmsche Gesetz U = I x R verstehen, oder gar auswendig lernen? Müssen Sie die vorgeschriebene Frequenz von 50 Hertz und die Spannung im Niederspannungsnetz von 230 Volt messen und kontrollieren können? Nein sie müssen es nicht! Die große Maschine ist so genial konstruiert, dass sie wie von selber läuft. Aber irgendeine Regel müssen die Millionen doch befolgen?

Ja doch! Es gibt da eine einzige kleine Regel für alle Bediener: Wer Strom haben will, muss ihn bezahlen. Ich erwähne diese Regel, weil sie uns den wichtigen Hinweis gibt, dass wirtschaftliche Interessen hinter der reibungslosen Funktion stehen. Aber fragen wir genauer nach. Wer bestimmt denn, wie viel der Strom kostet und wer den Strom erzeugen und wer damit Geld verdienen darf? Nun, das geschieht am „Strommarkt“. Und wer die Regeln für den Strommarkt festlegt, der ist der eigentliche Chef.

Fassen wir zusammen: Der Strom fließt natürlich nach physikalischen Gesetzen, aber wo man seinen Fluss beeinflussen kann, wo geregelt und gesteuert wird, geschieht das nach marktwirtschaftlichen Erwägungen! Das europäische Verbundnetz wird nach MARKTREGELN gesteuert.

Es gibt – das sollte man hier ergänzen – nicht nur eine einzige Marktregel. Die jetzt noch gültigen Regeln des Strommarktes sind zu Zeiten entstanden, in denen Atom- und Kohlestromhersteller ihren Strom gewinnbringend verkaufen durften. Seine gegenwärtige Funktionsweise ist deshalb – historisch bedingt – atom- und kohlefreundlich, denn er bevorzugt Kraftwerke, die ihre Leistung langfristig im Voraus garantieren können. Wer nun wie wir aus dringenden ökologischen Gründen einen ungeschmälerten Vorrang der erneuerbaren Energien vor Kohle- und Atomstrom erreichen will, der muss die vorhandene Marktstruktur durch eine andere Marktstruktur ersetzen.

Doch die Lobbymacht wehrt sich gegen eine solche Veränderung. Und unbewusst wird sie von allen denjenigen gestützt, die davon ausgehen, dass die derzeitigen Marktregeln alternativlose, sozusagen durch eine höhere Macht vorgegebene Marktregeln seien.

Unsere Botschaft lautet: Alternativlose Marktregeln gibt es nicht. Sie richten sich vielmehr danach, welches Produkt den Vorrang haben soll. Die Interessengebundenheit des Strommarktes ist der Öffentlichkeit bisher nur viel zu wenig bewusst. Wer eine ökologische Energiewende erreichen will, der muss sich deshalb – auch wenn sie ihm eher unwichtig vorkommen – genau mit den Verfahrensregeln des Strommarktes auseinandersetzen. Dazu muss er wissen, dass sie menschengemacht sind und dass nur mit einer Änderung dieser Regeln ein echter Vorrang der erneuerbaren Energien erreicht werden kann. Der Strommarkt ist mehr als nur ein Instrument zur Verteilung der monatlichen Stromgebühren an die Stromerzeuger. Der Strommarkt ist DAS zentrale Steuerungsinstrument unserer Stromversorgung überhaupt. Denn dort wird entschieden, wer Strom einspeisen darf und wer seine Anlagen abregeln muss, wer Geld damit verdienen darf und wer draufzahlen muss.

1680 Wolf von Fabeck

Wolf von Fabeck ist ein deutscher Solar-Aktivist. Fabeck ging nach seinem Abitur zur Bundeswehr, studierte Maschinenbau an der Technischen Hochschule Darmstadt. Im Dezember 1986 war er Mitbegründer des Solarenergie-Förderverein Deutschland e. V. (SFV) mit Sitz in Aachen.

Seit 1989 setzte er sich für die kostendeckende Vergütung von Solarstrom ein. Damit wurde er zu einem der Vordenker und Wegbereiter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 2000.

Er plädiert für eine drastische Erhöhung der Energiesteuern zur Sanierung der Staatsfinanzen, zur Finanzierung der Sozialversicherung, zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, als Anreiz zum Energiesparen, zur Schonung der Ressourcen und zur Verminderung des CO2-Ausstoßes. Im gleichen Zusammenhang fordert er die Auszahlung eines monatlichen Energiegeldes für jeden Einwohner.

Stromnetze gehören in die öffentliche Hand!

Attac, Bund der Energieverbraucher und Robin Wood übergebenfast 10.000 Unterschriften

Pressemitteilung vom Bund der Energieverbraucher e.V.

Stromnetze gehören in die öffentliche Hand!

Attac, Bund der Energieverbraucher und Robin Wood übergeben fast 10.000 Unterschriften

(27. November 2008) Attac, der Bund der Energieverbraucher und Robin Wood haben die Bundesregierung aufgefordert, die Hochspannungsnetze vollständig in die öffentliche Hand zu überführen. Fast 10.000 Unterschriften mit dieser Forderung übergaben Vertreterinnen und Vertreter der drei Organisationen am heutigen Donnerstag im Bundeskanzleramt. Parallel dazu konfrontierten Attac-Aktive die Vorstandsvorsitzenden von RWE, Eon und Vattenfall Europe bei der Konferenz "Kraftwerke und Netze für eine nachhaltige Energieversorgung" der Deutschen Energieagentur (Dena) in Berlin mit ihrer Forderung nach einer demokratischen Kontrolle der Netze: Vor den Augen der überraschten Konferenzteilnehmer entrollten die Globalisierungskritiker ein Transparent mit der Aufschrift "Netze in öffentliche Hand! Soziale und ökologische Stromversorgung!"

"Die Versorgungssicherheit ist auf dem Altar des Wettbewerbs geopfert worden", kritisierte Aribert Peters, Vorsitzender des Bundes der Energieverbraucher. Wer auf Sicherheit nicht verzichten wolle, müsse die Netze verstaatlichen. Der Markt könne grundsätzlich keine Sicherheit herstellen. "Analog zu den Bundesautobahnen und Bundeswasserstraßen muss es staatliche Energienetze geben. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung haben die Nase voll und wollen die Netze verstaatlichen. Die Regierung und das Parlament müssen jetzt handeln ", sagte Aribert Peters. Die Stromkonzerne hätten auf Grund ihrer Monopolstellung in den vergangenen Jahren die Netzentgelte auf Kosten der Verbraucher in die Höhe getrieben, das Geld einkassiert und die Netze verrotten lassen.

Dirk Seifert, Energieexperte der Umweltschutzorganisation Robin Wood, ergänzte: "Häufig schalten Eon und Co. einfach ganze Wind-Parks ab mit der Begründung, das Stromnetz sei überlastet. Damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien ungehindert vorankommen kann, müssen die Stromnetze dringend modernisiert und umgebaut werden. Daran haben die Stromkonzerne aber keinerlei Interesse. Deshalb müssen ihnen die Netze aus der Hand genommen werden und in öffentliches Eigentum überführt werden."

"Die Übertragungsnetze der Stromkonzerne an Finanzinvestoren wie die Deutsche Bank oder die australische Macquarie-Gruppe zu verkaufen, hieße, vom Regen in die Traufe zu kommen", stellte Alexis Passadakis vom bundesweiten Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac fest. Die bisherigen Netz-Besitzer hätten gegen soziale und ökologische Belange agiert. Dass sich dies bei künftigen privaten Netzgesellschaften ändere, sei nicht zu erwarten. "Im Gegenteil: Private Investoren würden an der Lohn- und Personalschraube drehen, um die Rendite so drastisch zu steigern wie möglich. Angesichts der Finanzkrise und ihrer Verluste in den vergangenen Monaten bliebe Finanzinvestoren nichts anderes übrig, als den Renditedruck zu erhöhen. Das muss verhindert werden."

77% wollen Strom- und Gaskonzerne verstaatlichen

Der Bund der Energieverbraucher hat gute Gründe für eine Verstaatlichung zusammengestellt

77% wollen Strom- und Gaskonzerne verstaatlichen

(30. Oktober 2008) Nach einer aktuellen von Forsa für die Illustrierte "Stern" durchgeführten Umfrage ist eine große Mehrheit der Bundesbürger für eine Verstaatlichung so genannter Schlüsselindustrien.

Am größten sei die Zustimmung zur Verstaatlichung der Strom- und Gaskonzerne, das wünschten 77% der Bürger. Selbst unter CDU- und FDP-Wählern gibt es hier eine deutliche Mehrheit von 73% bzw. 70%.

64% wollen auch eine zumindest teilweise Verstaatlichung der Finanzindustrie wie Banken und Versicherungen, 60% der Logistikunternehmen wie Fluglinien, Bahn und Post, 45% der Branche Chemie und Pharmazie und jeweils 40% der Telekommunikation und der Landwirtschaft.

Der Bund der Energieverbraucher hat gute Gründe für eine Verstaatlichung zusammengestellt, die eine Verstaatlichung unausweichlich machen.

"Die Bürger haben die Nase voll von den Energiekonzernen, die stets nur ihre eigene Tasche füllen und ihre Verantwortung für Bürger und Gesellschaft noch gar nicht begriffen haben", kommentiert der Bund der Energieverbraucher, "Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, die mißlungene Privatisierung rückgängig zu machen und damit nicht noch Jahre zu warten". Als verheerend hat der Verbraucherverband die enge Verknüpfung zwischen Staat und Versorgungswirtschaft bezeichnet. Die neue Cheflobbyistin der Stromwirtschaft komme gerade direkt aus dem Kanzleramt.

Verbraucher und Attac: Stromnetze demokratisch kontrollieren

Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche Handfordern in einer gemeinsamen Unterschriftenaktion der Bund derEnergieverbraucher und die Organisation Attac.

Pressemitteilung vom Bund der Energieverbraucher e.V.

Verbraucher und Attac: Stromnetze demokratisch kontrollieren

(7. März 2008) Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche Hand fordern in einer gemeinsamen Unterschriftenaktion der Bund der Energieverbraucher und die Organisation Attac.

Eine Verstaatlichung sei zwingend notwendig, um die künftige Stromversorgung zu sichern. Das Stromnetz als Schlüsselressource müsse im Wettbewerb neutral sein und dürfe nicht den Profitinteressen geopfert werden.

Die Kampagne lädt dazu ein, an die veranwortlichen Politiker eine Protestmail zu verfassen. Jeder kann durch einen Klick auf den Aktionsbanner diese Mail absenden.

Banner Stromnetze-demokratisch-kontrollieren.de

Auf möglichst vielen Internetseiten sollte dieser Banner eingebunden werden und auf folgende Internetadresse verweisen: www.stromnetze-demokratisch-kontrollieren.de

Download Banner Stromnetze demokratisch kontrollieren

Dazu kann man den Banner herunterladen, auf der eigenen Homepage einbinden und den Link auf die Seite www.stromnetze-demokratisch-kontrollieren.de hinterlegen.

Die Initiatoren hoffen so auf eine lawinenartige Verbreitung des Aktionsbanners im Internet.

Ein ausführliches Argumentationspapier des Bund der Energieverbraucher zeigt unter anderem, dass für den Fiskus mit dem Stromnetz ein Gewinn zu erwirtschaften wäre und die Steuerlast an anderer Stelle sinken könnte.

Gute Gründe für die Netzverstaatlichung

Der Bund der Energieverbraucher hat zwingende Gründe dafür zusammengestellt, die Energienetze in staatliche Hand zu übernehmen

Gute Gründe für die Netzverstaatlichung

(4. März 2008, überarbeitet 30. Oktober 2008) Der Bund der Energieverbraucher hat zwingende Gründe dafür zusammengestellt, die Energienetze in staatliche Hand zu übernehmen:

  • Wenn man die Netze privaten Investoren überlässt, kann man den Einfluss aus dem Ausland nicht kontrollieren. Diese Einflüsse sind nicht der Versorgungssicherheit verpflichtet, sondern ausschließlich der Kapitalrendite. Die rechtlichen Handhaben des Energiewirtschaftsgesetz dagegen sind äußerst schwach und wirkungslos.
  • Andere europäische Staaten sind uns mit der Verstaatlichung vorangegangen. Die Strom- und Gaspreise in Frankreich zum Beispiel sind deutlich niedriger als in Deutschland. 
  • Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die privaten Netzbetreiber ihrer Verantwortung für den zukunftsgerichteten Netzausbau und die Unterhaltung des Netzes nicht gerecht geworden sind. Ganz im Gegenteil sind die Investition heruntergefahren worden und die Gewinne aus den Netzen stiegen gewaltig. Das beweisen unabhängige Untersuchungen zum Zustand der Netze und auch der Netzzustandsbericht der Bundesnetzagentur vom Januar 2008.
  • Die Stromnetze haben eine Schlüsselfunktion für den Wettbewerb und müssen deshalb wettbewerblich neutral sein und dürfen keinem der Akteure bei der Erzeugung und dem Vertrieb gehören.
  • Das Stromnetz muss zukunftsgerichtet ausgebaut werden, um dezentrale Erzeugung und regenerative Energien zu ermöglichen und zu unterstützen. Dieses Ziel gefährdet die Vormachtstellung der Stromkonzerne und derzeitigen Netzbesitzer und ist auch mit einer maximalen Netzrendite nicht vereinbar.
  • Die Strompreise und Netzkosten sind wesentlich belastet durch die überhöhten Kosten für Regelenergie. Die Kosten für Regelenergie sind von den Netzbetreibern in der Vergangenheit systematisch in die Höhe getrieben worden, um die stillgelegten Kraftwerkskapazitäten gewinnbringend einzusetzen. Die Kosten der Regelenergie machen etwa 40% der gesamten Kosten der Übertragungsnetze aus, vgl. auch LBD-Gutachten. Diese Kosten können durch die Verstaatlichung deutlich absinken. Vgl. dazu: Parlasca, Susanne: Die Vorgaben des Bundeskartellamts zur Beschaffung von Regelenergie und Gutachten Becker, Büttner, Held zu Lippstadt.
  • Die Störungsfälle der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Aufspaltung des Übertragungsnetzes auf vier Netzbetreiber die Netzsicherheit herabsetzt und gefährdet. Überfällig ist die Zusammenlegung der vier Übertragungsnetze zu einem Netz, auch um die Kosten der Regelenergie zu vermindern und die Netzsicherheit zu erhöhen. Das ist nur durch eine Verstaatlichung möglich.
  • Die Übertragungsnetze sind handelsrechtlich weitgehend abgeschrieben und damit einerseits von den Stromkunden über die Strompreise und zum zweiten vom Steuerzahler über die Abschreibungsbeträge bezahlt worden. Deshalb dürfte sie nur zu einem geringen Preis veräußert werden. Die Stromnetzübernahmen der Vergangenheit, die von Gerichten entschieden wurden, haben gezeigt, dass die geforderten Preise für Stromnetze um ein deutlich unrechtmäßig überhöht waren (Beispiel EWS Schönau: Der Netzverkäufer forderte 5,7 Millionen DM, durch Gerichtsurteil wurden 3,5 Millionen DM festgelegt).
  • Je weniger korrupt ein Staat ist, umso weitgehender ist das Stromnetz neutralisiert. Das ist empirisch nachgewiesen worden (Silvester van Koten: The unbundling Regime, Prag, Mai 2007). Deutschland ist für den engen Filz zwischen Versorgungswirtschaft und Regierung bekannt. So hat sich die Kanzlerin im Interesse der Stromkonzerne intensivst bemüht, die Unbundling-Initiative der EU zu Fall zu bringen. In den Niederlanden ist 2006 bekannt geworden, dass die Stromkonzerne mit einer Firma (IMSA) ein erfolgsabhängiges Honorar von 1,7 Millionen Euro dafür vereinbart hatten, dass die Entflechtung zu Fall gebracht wird. Deutschland war auch das einzige Land, dass auf eine staatliche Kontrolle der Netzentgelte verzichtet hat und erst sieben Jahre nach Strommarktliberalisierung durch eine EU-Richtlinie zur Einführung einer staatlichen Entgeltkontrolle gezwungen wurde.
  • Die These, dass entflochtene Netze zu höheren Strompreisen führen, ist empirisch nicht zu halten. Denn bei dieser Rechnung wurden wichtige strukturelle Faktoren nicht berücksichtigt: G-Komponente (Ausmaß, in dem Kraftwerke die Netzkosten tragen), Höhe der Produktionsfaktoren (Lohn, Tiefbaukosten), Fixkostendegression, Siedlungsdichte, Versorgungsqualität (vgl. Plaut Economics: Berücksichtigung struktureller Unterschiede, Wien 2005).
  • Nach Einschätzung der Anwaltskanzlei Becker Büttner Held ist eine eigentumsrechtliche Entflechtung der europäischen Energiekonzerne mit deutschem und EU-Recht vereinbar, zumindest für die Übertragungsebene. Zum gleichen Schluss kommt ein Rechtsgutachten von RA Christian von Hammerstein der Agentur Hogan & Hartson Raue im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Es handle es sich juristisch um eine "den Grenzen der Sozialbindung des Eigentums unterliegende Inhalts- und Schrankenbeschränkung", die sich aus dem Grundgesetz ergebe. Auch der Eingriff in die Eigentumsgarantie sei verhältnismäßig, die Berufs- und Gewerbefreiheit, die Vereinigungs- und allgemeine Vertragsfreiheit blieben gewahrt.
  • Finanziell ist eine Verstaatlichung der Netze kein Verlustgeschäft für den Fiskus, denn die Investitionen in das Netz werden über die Netzentgelte von den Verbrauchern getragen, auch nach Einführung der Anreizregulierung. Eine ansehnliche Verzinsung des für den Netzkauf eingesetzten Kapitals (6,8 bis 8 %) ist garantiert. Da der Staat sich das Geld für 3,5% leihen kann, macht er durch den Netzkauf einen Gewinn.

Fazit: Wer auf Versorgungssicherheit nicht verzichten will, muß das Stromnetz verstaatlichen. Der Markt kann grundsätzlich keine Sicherheit herstellen. Analog zu den Bundesautobahnen und Bundeswasserstraßen sind konsequenterweise auch die Energienetze in staatliche Hand zu überführen. Das würde die Netz auch einer demokratischen Kontrolle unterstellen und garantieren, dass das Gemeinwohl bei der Pflege und dem Ausbau der Netze berücksichtigt wird.

Gutachten: Entflechtung keine Enteignung

Ein Rechtsgutachten im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv)

Gutachten: Entflechtung keine Enteignung

(7. September 2007) Die Vorschläge der EU-Kommission, Strom- und Gasnetze von ihren bisherigen Betreibern eigentumsrechtlich zu trennen, stellten keine Enteignung dar, so ein Rechtsgutachten von RA Christian von Hammerstein der Agentur Hogan & Hartson Raue im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv), Berlin.

Es handle es sich juristisch um eine "den Grenzen der Sozialbindung des Eigentums unterliegende Inhalts- und Schrankenbeschränkung", die sich aus dem Grundgesetz ergebe. Auch der Eingriff in die Eigentumsgarantie sei verhältnismäßig, die Berufs- und Gewerbefreiheit, die Vereinigungs- und allgemeine Vertragsfreiheit blieben gewahrt.

Damit seien die verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt, so der vzbv. Der Vorschlag der EU-Kommission, einen unabhängigen Systemoperateur (ISO) einzusetzen, könne nur eine Übergangslösung sein, denn die großen Energiemonopolisten würden das Netz weiter behalten.

Wegen der nach wie vor kritischen Schnittstelle zwischen dem Betreiber und der Eigentümerstruktur wäre dann eine aufwendige Regulierung erforderlich. Der Wettbewerb im Strom- und Gasbereich könne nur funktionieren, wenn der Netzbetreiber allen Marktteilnehmern die notwendige Infrastruktur von sich aus zur Verfügung stellt.

Der Staat sei dann auch nicht mehr in der Pflicht, den Ausbau der Netze anzuweisen und zu planen. Ebenso könne sich die Regulierungsbehörde bei einer wirksamen Entflechtung darauf konzentrieren, die Kalkulationen der Netznutzungsentgelte zu kontrollieren, so der vzbv.

Ownership Unbundling gekippt

Die 27 Mitgliedsstaaten der EU haben über ihre Energieministerden Vorschlag der EU-Kommission zur Entflechtung im Energiebereichmehrheitlich abgelehnt

Ownership Unbundling gekippt

(17. Juni 2007) Die 27 Mitgliedsstaaten der EU haben über ihre Energieminister den Vorschlag der EU-Kommission zur Entflechtung im Energiebereich mehrheitlich abgelehnt. Das Ownership Unbundling sei nur eine von verschiedenen Maßnahmen zur Forcierung der wettbewerblichen Dynamik und kein Allheilmittel, hieß es von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, der der Sitzung des Energierates vorsaß.

Er habe den Eindruck, eine organisatorische Trennung von Netzverwaltung und Energieerzeugung sei für die meisten EU-Regierungen annehmbar, so Glos. Demnach sollen die großen Energiekonzerne die Verwaltung ihrer Netze in unabhängige Betreibergesellschaften ausgliedern, die im Konzernbesitz bleiben. Der europäische Binnenmarkt für Strom und Gas müsse stärker zusammenwachsen, mehr Dynamik entfalten und die Vorteile der Liberalisierung müssten ungeschmälert bei Verbrauchern und Industrie ankommen, so Glos weiter. Es bedürfe auch einer verbesserten Zusammenarbeit der nationalen Regulierungsbehörden und der Übertragungsnetzbetreiber. Ferner seien verbesserte Rahmenbedingungen für Investitionen in die Netze und neuer grenzüberschreitender Leitungen notwendig.

Netzverstaatlichung ist konsequent

Wer auf Sicherheit nicht verzichten wolle, müsse die Netze verstaatlichen.

Netzverstaatlichung ist konsequent

(2. Januar 2007) - Prof. Ulrich Ehricke von der Universität Köln referierte auf der Jahrestagung des Instituts für Energierecht am 4. Dezember 2006 in Berlin über die EU-Richtlinien zur Versorgungssicherheit. Durch die Aufspaltung der Netze in verschiedene Gesellschaften fehle es derzeit im deutschen Stromnetz an der früher vorhandenen Gesamtverantwortung. Es gebe dadurch keine Reserven mehr im Netz und der Produktion.

Prof. Dr. Ulrich Ehricke

Das neue Energiewirtschaftsgesetz nehme die Unternehmen nur sehr schwach in die Verantwortung für die Netzsicherheit. "Die Versorgungssicherheit ist auf dem Altar des Wettbewerbs geopfert worden". Investitionen ließen sich grundsätzlich nicht vom Staat erzwingen. Der Staat könnte jedoch gesetzlich bestimmte Reserven vorschreiben. Eine Alternative dazu sind strenge Regeln für den Schadensersatz bei Netzstörungen und eine Garantiehaftung.

Wer auf Sicherheit nicht verzichten wolle, müsse die Netze verstaatlichen. Der Markt kann grundsätzlich keine Sicherheit herstellen. Analog zu den Bundesautobahnen und Bundeswasserstraßen wären konsequenterweise auch staatliche Energienetze denkbar.

Prof. Ehricke ist Direktor des Kölner Instituts für Energierecht, Richter am OLG Düsseldorf und Lehrstuhlinhaber für Europarecht.

Brüssel will eigentumsrechtliche Entflechtung

EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes geht die aktuelle Trennung von Netzbetrieb und Vertrieb in den Energiekonzernen nicht weit genug.

Brüssel will eigentumsrechtliche Entflechtung

(2. Oktober 2006) EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes geht die aktuelle Trennung von Netzbetrieb und Vertrieb in den Energiekonzernen nicht weit genug. Sie will diese Frage auf die Tagesordnung der Kommission setzen. Sie habe Informationen, dass die gesellschaftsrechtliche Entflechtung es nicht verhindert habe, dass zwischen Netzgesellschaft und Versorgereinheit Informationen fließen, so Kroes. Deswegen müsse es in Richtung eigentumsrechtliche Entflechtung gehen. Transparenz alleine sei nicht genug, so Kroes.

Eine stärkere Entflechtung sei notwendig, um Interessenkonflikte innerhalb integrierter Unternehmen effektiv zu beseitigen. Netzwerkgesellschaften sollten nicht ihre eigene Vertriebseinheit oder Stromerzeuger auf Kosten unabhängiger Unternehmen bevorzugen. Auch schafften die aktuellen Strukturen keine ausreichenden Investitionsanreize. Investitionen sollten getätigt werden, wenn es gut fürs Netz ist und nicht nur, wenn es gut für die integrierte Gesellschaft ist, so Kroes. Auch bei der Offenlegung von Informationen zu Energieflüssen könne eine staatliche Regulierung nötig sein.

Alle wollen Entflechtung, nur Deutschland nicht!

Einzig Deutschland sprach sich gegen das Ownership-Unbundling aus.

Alle wollen Entflechtung, nur Deutschland nicht!

(30. August 2006) Als Vorlage für das Weißbuch, das Verbesserungsvorschläge für den Wettbewerb in den europäischen Energiemärkten aufzeigt und bis zum Jahresende vorliegen soll, empfehlen 24 von 25 europäischen Regulierungsbehörden der EU-Kommission eine eigentumsrechtliche Entflechtung in den Energiemärkten. Die Aufspaltung sei die einfachste Möglichkeit, einen fairen Zugang bei der Vergabe von Leitungskapazitäten sicherzustellen, so Walter Boltz, Chef der österreichischen Regulierungsbehörde E-Control. Mit der eigentumsrechtlichen Trennung von Netz und Vertrieb könne der reine Energiekostenanteil in den Stromrechnungen für Haushaltskunden um bis zu 15% sinken.

Einzig Deutschland sprach sich gegen das Ownership-Unbundling aus. Außerdem wollen die europäischen Regulierer mehrheitlich eine Stärkung der Brüsseler Regulierungskompetenzen. Einen eigenständigen europäischen Regulierer soll es aber nicht geben.

Ownership-Unbundling geht rechtlich

Nach Einschätzung der Anwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH) ist eine eigentumsrechtliche Entflechtung der europäischen Energiekonzerne mit deutschem und EU-Recht vereinbar

Ownership-Unbundling geht rechtlich

(23. April 2006) Nach Einschätzung der Anwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH) ist eine eigentumsrechtliche Entflechtung der europäischen Energiekonzerne mit deutschem und EU-Recht vereinbar, zumindest für die Übertragungsebene. Dies gelte dann, wenn sich die EU auf die Binnenmarktkompetenz nach § 95 EGV stütze. Der einschränkende § 295 EGV greife hier nicht. Ob das Ownership-Unbundling gegen den Grundsatz der Eigentumsgarantie oder der Berufsfreiheit verstoße, hänge davon ab, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.

Das Deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen erlaubt der Kartellbehörde alle Maßnahmen, die für eine Wirksame Abstelung der Zuwiderhandlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig sind (§ 31 Abs. (2) GWB). Dazu zählten laut amtlicher Begründung auch strukturelle Maßnahmen. Da es sich bei Übertragungsnetzbetreibern um die Schlüsselfiguren im Energiemarkt handle und wegen der vertikalen Integration der Unternehmen erhebliche Interessenskonflikte bestünden, sei ein Eingriff in die Eigentumsrechte durchaus zulässig und stehe auch im Einklang mit dem Eigentumsgrundrecht, so BBH.

Auf der Verteilnetzebene sei ein Ownership-Unbundling dagegen weder geeignet noch erforderlich. Der Bund der Energieverbraucher vertritt hingegen die Ansicht, dass die überhöhten Netzentgelte auf der Verteilnetzebene das Haupthindernis für den Wettbewerb darstellen. Sie machen auch den größten Anteil der Netzemntgelte aus. Deshalb muss das Ownership Unbundling auch die Verteilnetze umfassen. Die Politik dürfe vor den Kommunen nicht einknicken.

Stromnetze neutralisieren!

Wettbewerb setzt eine Trennung von Netzbetrieb, Erzeugung und Verkauf voraus. Nur eine eigentumsrechtliche Entflechtung verspricht Erfolg. Die Hälfte der EU-Staaten verfahren bereits in dieser Weise. Ein Plädoyer von Prof. Uwe Leprich.

Stromnetze neutralisieren!

Wettbewerb setzt eine Trennung von Netzbetrieb, Erzeugung und Verkauf voraus. Nur eine eigentumsrechtliche Entflechtung verspricht Erfolg. Die Hälfte der EU-Staaten verfahren bereits in dieser Weise.
Ein Plädoyer von Prof. Uwe Leprich.

(4. Januar 2006) - Das Stromnetz ist und bleibt auch in einem liberalisierten Strommarkt ein natürliches Monopol. Dies darf den Wettbewerb bei der Stromerzeugung und dem Strombetrieb nicht behindern. Deshalb haben Stromnetzbetreiber in einem liberalisierten Strommarkt eine Schlüsselfunktion: sie schließen die Erzeuger/ Einspeiser, Händler und Endkunden an, sie gewähren Netzzugang zu definierten Bedingungen, und sie stellen ihr Netz all jenen zur Verfügung, die bereit sind, eine festzulegende Nutzungsgebühr dafür zu entrichten. Darüber hinaus sorgen sie für die Stabilität des Systems, indem sie insbesondere die Frequenz- und Spannungshaltung kontrollieren und Abweichungen ausgleichen.

Die Netzbetreiber sind gegenüber allen Wettbewerbsteilnehmern zur strikten Neutralität verpflichtet: sie müssen alle Akteure gleich behandeln. Sie dürfen als Bindeglied zwischen den wettbewerblichen Teilmärkten dort keine eigenen kommerziellen Interessen verfolgen, und sie müssen dafür sorgen, dass die Netze aktuellen und künftigen Nutzern zuverlässig zur Verfügung stehen.

Theorie und Praxis

Soweit die Theorie. In der Praxis befinden sich in Deutschland die großen Übertragungsnetze im Konzerneigentum der vier Großstromerzeuger E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe. Dieses Erzeugeroligopol kontrolliert rund 90 Prozent der Kraftwerke und über 70 Prozent des Absatzes an die Letztverbraucher in Deutschland. Darin enthalten sind die Beteiligungen an sämtlichen Regionalversorgern und an einer Vielzahl von Stadtwerken. Allein die beiden Riesen E.ON und RWE vereinigen zwei Drittel der Erzeugungskapazitäten auf sich und sind zusammen an mehr als 250 Stadtwerken beteiligt, was das Bundeskartellamt bereits im Jahre 2002 dazu veranlasste, von einem "marktbeherrschenden Duopol" zu sprechen.

1680_2006_Wertschöpfungsstufen

Der strategische Wert insbesondere der Übertragungsnetzkontrolle in den Händen der vier Großen kann gar nicht überschätzt werden. Weit reichende Marktverzerrungspotenziale reichen vom Kraftwerksabruf über Netzanschlussschikanen bis hin zur Abschottung des Regelenergiemarktes im Interesse der eigenen Kraftwerke. Hinzu kommt, dass vor allem ausländische Akteure den Übertragungsnetzbetreibern keine Neutralität zutrauen und daher den deutschen Erzeugungsmarkt weitgehend meiden. Auf diese Weise wirkt die fehlende eigentumsrechtliche Trennung von Übertragungsnetz und Großstromerzeugung wie eine Bestandsgarantie für das enge deutsche Erzeugeroligopol.

Gestufte Interessenentflechtung durch Unbundling

Um diese in einem einzigen Unternehmen verflochtenen Interessen zum Wohle des Wettbewerbs zu trennen, schreiben die Europäischen Binnenmarktrichtlinien eine Entflechtung vor, auch "unbundling" genannt. Das Unbundling zielt auf eine strikte Trennung der in einem Unternehmen befindlichen Bereiche Erzeugung, Transport und Vertrieb, so als wenn es sich um Bereiche verschiedener Firmen handeln würde. Dabei sind folgende Entflechtungsstufen zu unterscheiden:

  • Buchhalterische Entflechtung - getrennte Buchführung
    Für Erzeugung, Transport und Vertrieb wird eine getrennte Buchhaltung vorgeschrieben. So kann kontrolliert werden, ob die Netznutzung allen Wettbewerbern zu gleichen Preisen berechnet wurde. Diese Art der Entflechtung führt zu mehr Transparenz.
  • Informationelle Entflechtung
    Das betroffene Unternehmen hat nachzuweisen, dass der Informationsfluss zwischen den einzelnen Wertschöpfungsstufen unterbunden wird, um Informationsvorsprünge gegenüber außen stehenden Dritten zu verhindern.
  • Organisatorische / Operationelle Entflechtung
    Das Unternehmen richtet für die einzelnen Wertschöpfungsstufen ein eigenes Management, eine eigene Verwaltung ein.
  • Gesellschaftsrechtliche Entflechtung
    Der Netzbereich wird in ein Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgelagert. Das gemeinsame Holding-Dach und damit die Interessenverflechtung zwischen Netz und den anderen Wertschöpfungsstufen bleibt allerdings bestehen.
  • Eigentumsrechtliche Entflechtung
    Hier veräußert das Unternehmen entweder das Netz oder alle anderen Wertschöpfungsstufen mit Ausnahme des Netzes.

Rendite eines führenden deutschen Stromversorgers nach Sektoren

Die erste EU-Richtlinie von 1997 schrieb nur eine buchhalterische Entflechtung vor. Die zweite verschärfte Richtlinie von 2003 sieht eine informationelle Entflechtung und auch eine organisatorische und operationelle Entflechtung vor. Für Versorger mit über 100.000 Kunden ist auch eine gesellschaftsrechtliche Entflechtung verpflichtend. Das schreibt auch das neue deutsche Energiewirtschaftsgesetz vor und dies ist bis 1. Juli 2007 von den Firmen umzusetzen.

Verstaatlichung der Übertragungsnetze

Es ist unmittelbar einsichtig, dass nur eine strikte eigentumsrechtliche Trennung der Netze von den übrigen Wertschöpfungsstufen ihre tatsächliche Neutralisierung gewährleisten kann. Auch in der EU-Kommission ist dieses Problem längst erkannt und intern schon einmal eine eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Stromerzeugung gefordert worden.

Diagramm Jährliche (Re-)Investitionen in deutscher Stromnetze

Auf der Prioritätenskala für eine wirkliche Liberalisierung des deutschen Stromsektors steht diese Trennung ganz oben. Es spricht sehr viel dafür, das Übertragungsnetz in die öffentliche Hand zu überführen:

  • Die öffentliche Hand hat geringere Renditeansprüche als private Anteilseigner und würde daher mit niedrigeren Netzerlösen auskommen.
  • Das Spannungsfeld zwischen effizientem Netzbetrieb und Aufrechterhaltung einer angemessenen Versorgungssicherheit lässt sich in öffentlichen Unternehmen besser auflösen als in privaten renditegetriebenen, da eine Vernachlässigung der Qualität hohe politische Risiken in sich birgt.
  • Öffentliches Eigentum an lebenswichtiger Infrastruktur stärkt in der Regel die nationale Wertschöpfung, da keine Geldströme mehr an das Ausland abfließen.
  • Die öffentliche Hand kann energiepolitische Zielsetzungen schneller und konfliktfreier durchsetzen als private renditegetriebene Netzbetreiber. Denkbar sind etwa künftige Netzoptimierungen für eine stärkere Dezentralisierung der Stromerzeugung oder Netzausbaunotwendigkeiten für eine umfassenden Offshore-Windnutzung.
Verstaatlichung liegt im Trend

Mit der Forderung nach einer Verstaatlichung der Stromübertragungsnetze befindet man sich aktuell durchaus in guter Gesellschaft:

  • In zahlreichen EU-Ländern gibt es bereits eine eigentumsrechliche Entflechtung: Dänemark, Finnland, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden, Vereinigtes Königreich, Norwegen, Litauen, Tschechische Republik, Ungarn und Slowenien (Quelle: Fortschrittsbericht der EU-Komm. 2005).
  • Im Herbst fand in Dänemark rückwirkend zum 1. Januar eine Verschmelzung der Transportnetzunternehmen Elkraft System, Elkraft Transmission, Eltra und Gastra zu einem gemeinsamen Unternehmen statt - der Energinet Danmark. Es handelt sich dabei um ein staatliches Unternehmen, das nicht nur Eigentümer des Netzes ist, sondern auch die Aufgaben eines neutralen Systemoperateurs wahrnimmt. Sämtliche netzbezogenen Aktiva und Passiva der zu verschmelzenden Unternehmen wurden in staatliches Eigentum überführt, ohne dass dem Staat dadurch Kosten entstanden. Im Gegenzug erhielten die Unternehmen unbeschränkten Zugriff auf ihr Eigenkapital, was vorher nicht der Fall war.
  • In den Niederlanden bereitet die Regierung derzeit gegen den Widerstand der großen Stromkonzerne eine weit reichende Gesetzgebung für eine generelle eigentumsrechtliche Entflechtung aller Netzbetreiber vor. Als Auflage sieht die Regierung vor, dass die Mehrheit an den Netzgesellschaften stets in öffentlicher Hand bleiben muss. Bis Ende 2007 sollen alle Stromproduzenten ihre Netze an Städte, Gemeinden und Provinzen abgeben.
  • In Deutschland kommt ein von BDI und DIHK in Auftrag gegebenes Gutachten zur Privatisierung des Schienennetzes der Deutschen Bundesbahn zu dem Ergebnis, dass davon dringend abzuraten sei, da "der Renditedruck von Investoren mit kurzfristigen Erfolgserwartungen … in permanentem Widerspruch zum 'langen Atem' (stehe), der jedem Infrastrukturbetreiber bei der Entwicklung seines Geschäftes abverlangt wird." Politisch hat der SPD- Energieexperte Hermann Scheer diesen Gedanken aufgegriffen und vertritt dezidiert die Meinung, dass "Stromnetze in öffentliche Hände" gehören.

Rechtlich gesehen könnte eine Verstaatlichung der Stromübertragungsnetze als Enteignung im Sinne des Art. 14 III Grundgesetz erfolgen. Das ist grundsätzlich unproblematisch, da das Netzeigentum nach den Ausführungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Hans-Jürgen Papier "in ganz wesentlicher Hinsicht auf dem … Enteignungsrecht der Energieversorgungsunternehmen gründet" und daher ohnehin einer "gesteigerten Sozialbindung" unterliegt (Die Regelung von Durchleitungsrechten, H.-J. Papier, Carl Heymanns Verlag 1997).Download Papier Durchleitungsrechte 11.01.2007 (286.19 kB)

Praktisch könnte der Staat beispielsweise durch eine konsequente Netzregulierung mit einer zugestandenen durchschnittlichen Eigenkapitalrendite darauf hinwirken, dass die renditemaximierenden Großstromerzeuger sich freiwillig von ihren Netzen trennen und damit den Weg freimachen für die umfassende wettbewerbliche Umgestaltung des Stromsystems zum Wohle der Verbraucher.

letzte Änderung: 27.04.2023