Energieverbraucher fordern von Merkel Haftung der Stromversorger
(28. November 2005) Der Bund der Energieverbraucher hat Bundeskanzlerin Angela Merkel heute aufgefordert, die Stromversorger künftig für Stromausfälle haftbar zu machen.
Die derzeitige Haftungsfreistellung sei nicht nur ungerecht gegenüber den betroffenen Verbrauchern (RWE-Jahresgewinn: 5,7 Milliarden Euro), sondern zeitige auch nachteilige Folgen für die Versorgungssicherheit. Denn es gebe keinen finanziellen Anreiz für Investitionen in die Stromnetze. Deshalb kassierten die Stromversorger für die Netze und verbuchten dies als Gewinn. Der Verein fordert eine unabhängige Untersuchung der Stromausfälle.
Zu fragen sei:
- Warum gab es keine zweite Freileitung, wie sie nach dem "n-1-Prinzip" notwendig ist?
- Warum hielten die Strommasten im nahegelegenen Holland, während sie in Deutschland abknickten?
- Warum hat man die Leitungen nicht durch höhere Stromflüsse aufgeheizt?
- Waren die Strommasten stabil genug? Wer hat sie geprüft mit welchem Ergebnis?
- Warum fordert RWE für die Schadensbehebung keine Hilfe von anderen Unternehmen oder aus dem Ausland (Niederlande) an?
Die Verbraucher zahlten etwa jährlich 18 Milliarden Euro für die Netznutzung. Die Stromwirtschaft hat aber nur zwei Milliarden Euro (2004) in die Netze investiert. Der Gewinn von RWE lag im Jahr 2004 bei 5,7 Milliarden Euro, der von E.ON bei 4,3 Milliarden Euro.
Der von den Verbrauchern bezahlte Gewinn der beiden Riesen ist demnach fünfmal höher als der Betrag, der insgesamt in Deutschland in die Netze investiert wird.
Als zynisch hat es der Verein bezeichnet, dass RWE noch vor einer genauen Untersuchung alle Schuld von sich weist und die Betroffenen auch mit den Folgeschäden allein lassen will. Der Bund der Energieverbraucher hat RWE nochmals aufgefordert, für die Schäden des Stromausfalls materiell einzustehen.
Der Stromausfall sei nicht durch Schneefall im November oder höhere Gewalt verursacht worden, sondern Folge einer ausschließlich auf Gewinn gerichteten Geschäftspolitik von RWE.
Schreiben an Angela Merkel:
Betr: Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland
Rheinbreitbach, den 29. November 2005
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
erlauben Sie mir, Ihnen meine Glückwünsche zu Ihrem neuen Amt auszusprechen. Für die Energieverbraucher ist es sehr gut, dass in Deutschland jemand regiert, der den Unterschied zwischen einem Kilowatt und einer Kilowattstunde kennt. Sie hatten noch in Ihrer Zeit als Bundesumweltministerin den Bund der Energieverbraucher für sein Phönix-Solarprojekt als Preisträger für den Cusanus-Preis der Koblenzer Bürgerschaft vorgeschlagen. Die Laudatio hatte damals Rainer Brüderle gehalten.
Es geht mir heute um die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland. Die Stromausfälle im Münsterland haben deutlich gemacht, dass die Stromleitungsnetze in Deutschland in sehr schlechtem Zustand sind.
Vor der Liberalisierung haben die Verbraucher alle Investitionen in Leitungsnetze über den Strompreis bezahlt. Die Versorger haben damals sehr viel investiert. Man sprach von "vergoldeten" Netzen.
Nach der Liberalisierung konnten die Netzentgelte unabhängig von den getätigten Investitionen angehoben werden. Die Netzentgelte haben sich seitdem Verdreifacht, die Investitionen dagegen halbierten sich.
Deshalb zahlen die Verbraucher jährlich 18 Milliarden Euro für die Netznutzung. Die Stromwirtschaft hat aber nur zwei Milliarden Euro (2004) in die Netze investiert. Der Gewinn von RWE lag im Jahr 2004 bei 5,7 Milliarden Euro, der von E.ON bei 4,3 Milliarden Euro.
Der von den Verbrauchern bezahlte Gewinn der beiden Riesen ist derzeit fünfmal höher als der Betrag, der insgesamt in Deutschland in die Netze investiert wird. Die Stromversorger kassieren derzeit für die Netze und verbuchen dies als Gewinn, anstatt in die Netze zu investieren. Deshalb vergammeln die früher so guten deutschen Stromnetze. Man umschreibt das vornehm als "ereignisorientierte" Wartung, weil für eine präventive Wartung das Geld fehlt.
Die Stromausfälle im Münsterland werfen viele Fragen auf:
- Warum gab es keine zweite Freileitung, wie sie nach dem "n-1-Prinzip" notwendig ist?
- Warum hielten die Strommasten im nahegelegenen Holland, während sie in Deutschland abknickten?
- Warum hat man die Leitungen nicht durch höhere Stromflüsse aufgeheizt?
- Waren die Strommasten stabil genug? Wer hat sie geprüft mit welchem Ergebnis?
- Warum fordert RWE für die Schadensbehebung keine Hilfe von anderen Unternehmen oder aus dem Ausland (Niederlande) an?
Der Stromausfall ist nicht durch Schneefall im November oder höhere Gewalt verursacht worden, sondern Folge einer ausschließlich auf Gewinn gerichteten Geschäftspolitik von RWE. Es mutet zynisch an, dass RWE noch vor einer genauen Untersuchung alle Schuld von sich weist und die Betroffenen auch mit den Folgeschäden allein lassen will. Der Bund der Energieverbraucher hat RWE aufgefordert, für die Schäden des Stromausfalls materiell einzustehen.
Derzeit haften die Versorgungsunternehmen nicht für Stromausfälle. Daher fehlt der finanzielle Anreiz für höhere Investitionen in Versorgungsnetze. Erst wenn die Folgen maroder Netze die Gewinne schmälern, wird wieder mehr in die Netze investiert werden.
Die derzeitige Haftungsfreistellung basiert auf einer Verordnung (AVBEltV), die derzeit novelliert wird. Bedauerlicher weise will das Bundeswirtschaftsministerium auch künftig an der Haftungsfreistellung festhalten (Az: BMWA IX B 1).
Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass dies nicht nur ungerecht gegenüber den von Schäden betroffenen Verbrauchern ist, sondern auch gravierende nachteilige Folgen für die Versorgungssicherheit hat.
Ich möchte Sie bitten, einer Haftungsfreistellung Ihre Zustimmung zu versagen.
Ich möchte Sie ferner bitten, für eine unabhängige sachverständige Untersuchung dieser Stromausfälle zu sorgen.
Mit freundlichem Gruss
Dr. Aribert Peters
Vorsitzender
Antwort aus dem Bundeskanzleramt
Referat 422 Energiepolitik, Nationale und Internationale Finanzmarktpolitik
Berlin, den 14. Dezember 2005
Sehr geehrter Herr Peters,
die Bundeskanzlerin dankt Ihnen sehr für Ihre Glückwünsche zum Amtsantritt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sie Ihnen angesichts der Vielzahl von Briefen, die sie erreichen, nicht persönlich antworten kann. Sie hat mich gebeten, auf Ihr Anliegen einzugehen.
Die Sicherheit der Stromversorgung ist ein zentrales Thema der Energiepolitik der Bundesregierung. Die Umstände, die zu den Stromausfällen im Münsterland geführt haben, müssen umfassend geklärt werden.
Die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur haben im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Versorgungssicherheit und die Systemstabilität der Stromversorgung entsprechende Berichte von dem betroffenen Netzbetreiber eingefordert. Diese Berichte liegen bisher allerdings noch nicht vor. Deshalb sind zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließenden Aussagen dazu möglich, ob dieses Schadensereignis behördliche Maßnahmen seitens der Bundesnetzagentur auslösen wird oder ob Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. Dies gilt auch für die Frage einer eventuellen Änderung des Haftungsrechts.
Ob zivilrechtliche Schadensersatzansprüche Betroffener bestehen, kann das Bundeskanzleramt nicht beurteilen. Letztlich obliegt die Entscheidung hierüber den Gerichten.
Die von Ihnen angesprochenen Novellierungsentwürfe zu der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie enthalten im Interesse der Verbraucher bereits eine Änderung bestehender Haftungsregelungen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat die Entwürfe kürzlich den betroffenen Verbänden, unter anderem dem Bund der Energieverbraucher, zugesandt, um allen Interessengruppen die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ich möchte Sie bitten, diese Gelegenheit zu nutzen, um Ihre Argumente in die Diskussion einzubringen. Seien Sie versichert, dass alle eingehenden Stellungnahmen intensiv geprüft werden.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Stephanie v. Ahlefeldt