Die unheimlichen Preistreiber
Das wird ein teurer Winter: Mindestens 90 Gasversorger hatten schon für August und September Preiserhöhungen von durchschnittlich elf Prozent angekündigt. In einigen Regionen müssen sich Verbraucher sogar auf Kostensteigerungen von 20 bis 30 Prozent einstellen. Pro Haushalt bedeutet das zusätzliche Kosten von 100 bis 400 Euro pro Jahr. Als Grund führen die Versorger gestiegene Einkaufskosten an. Gunnar Harms entlarvt die Preistreiber.
(01. September 2011) Die Preissteigerungen pünktlich zum Herbst treffen Verbraucher besonders hart, denn mit 80 Prozent liegt der größte Anteil des Gasverbrauchs im Winterhalbjahr. Dabei scheint es eine deutsche Spezialität zu sein, die warme Jahreszeit abzuwarten, um im Winter um so heftiger zuzulangen. In Österreich beispielsweise - ist der dortigen Regulierungsbehörde nämlich schon im Sommer die (O-Ton:) „nicht nachvollziehbare" Preispolitik übel aufgestoßen.
Gunnar Harms, Ingenieur für Energietechnik, Mitglied des Vereinsvorstandes des Bundes der Energieverbraucher, Produktmanager für Energie in einem Industriepark
Bezugspreise steigen nur leicht
Dabei kennzeichnet derzeit ausgerechnet ein anhaltendes Überangebot den Gas-Großhandelsmarkt. Bei näherer Analyse stellt man schnell fest, dass die Preiserhöhungen nur in einstelliger Größenordnung gerechtfertigt sein dürften. Wo ein Versorger tatsächlich gestiegene Beschaffungskosten im zweistelligen Prozentbereich geltend macht, ist die Einkaufspolitik des jeweiligen Versorgungsunternehmens als höchst fragwürdig anzusehen.
Heizölgebundendes Gas
Die ölbedingten Formelpreise steigen vom dritten auf das vierte Quartal 2011 um etwa 0,3 Cent je Kilowattstunde. Hinzu kommt die Steigerung vom zweiten auf das dritte Quartal in Höhe von 0,5 Cent je Kilowattstunde, die die Unternehmen bislang kaum oder gar nicht an die Verbraucher weitergegeben haben. Insgesamt ergibt sich so ein legitimiertes Erhöhungspotential von etwa 0,8 Cent pro Kilowattstunde: Die Preise steigen von ca. 3,5 Cent im 2. Quartal ab Oktober auf etwa 4,3 Cent pro Kilowattstunde.
Beschaffung am Terminmarkt
Am Terminmarkt ist Gas immer noch deutlich unter dem Gasimportpreis erhältlich. Gas kommt also in großen Mengen billiger in den Handel, als es eingekauft wird. Denn die Gasimporteure kommen trotz „Gasschwemme" und damit einhergehendem Preisverfall aus ihren langfristigen Bezugsverträgen nicht heraus. Diese enthielten Rohöl- und Kohlenotierungen, an denen die jeweiligen Unternehmen übrigens viele Jahre lang prächtig verdient haben. Nun aber werden sie das Gas in den vertraglich vereinbarten Mengen zu diesen Preisen nicht mehr los und schreiben tiefrote Zahlen.
Auf dem Terminmarkt bestimmen derzeit die Käufer die Tarife, denen die Ölnotierungen herzlich egal sind. Dort haben sich die Preise nur sehr wenig verändert: Vom zweiten auf das vierte Quartal 2011 stieg der Preis nur um ca. 0,4 Cent je Kilowattstunde, also nur halb so hoch, wie bei der Ölbindung, und liegt nun bei etwa 2,7 Cent je Kilowattstunde.
Beschaffung am Spotmarkt
Für die Gasbeschaffung spielt der Spotmarkt nahezu keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle, etwa, wenn ein Unternehmen kurzfristige Schwankungen ausgleichen muss. Die Preise am Spotmarkt haben sich demnach kaum verändert und liegen seit Ende 2010 bei etwa 2,2 Cent je Kilowattstunde.
Beschaffungsmix
Üblicherweise hat ein endverteilender Versorger einen Mix aus ölgebundenen und terminmarktabhängigen Mengen im Beschaffungsportfolio. Je nach Unternehmenspolitik und Risikoneigung überwiegt der eine oder andere Teil.
Naturgemäß haben die vorliefernden Importgesellschaften derzeit ein sehr großes Interesse daran, möglichst viel teures, ölgebundenes Gas an die Stadtwerke und Endverteiler zu -verkaufen und entsprechende Verträge abzuschließen. Versorger, die sich darauf freiwillig einlassen oder aber angesichts langfristiger Lieferverträge oder der marktbeherrschenden Stellung ihres Lieferanten keine andere Wahl haben, müssen in diesen Tagen die gestiegenen Bezugspreise an ihre Kunden weitergeben. Unternehmen, die sich von solchen Bindungen frei -gemacht haben und langfristig kluge Beschaffungsstrategien mit einem hohen Grad an Eigenverantwortung und Unabhängigkeit verwirklicht haben, stehen jetzt gut da und müssen kaum etwas tun.
Das Argument der Heizölbindung
Interessanterweise hört und liest man aber in den Preiserhöhungs-Ankündigungen der Versorgungsunternehmen nichts mehr von der Ölpreisbindung. Dabei wäre gerade die doch ein gutes Argument für die augenblickliche Entwicklung. Der Glauben an dieses wettbewerbsverhindernde -Relikt aus vergangenen Zeiten hatte fast schon religiöse Züge: Die Ölpreisbindung infrage zu stellen, grenzte noch vor fünf Jahren an Blas-phemie. Doch 2011 ist davon weit und breit nichts mehr zu hören. Für den Verbraucher stellt sich die -Frage: Haben die Gasversorger keine ölpreisge-bundenen Verträge im Portfolio, oder trauen sie sich mit diesen Argumenten nicht mehr an die Öffentlichkeit? Wenn Ersteres der Fall ist, dürften die Preise eben nur ein wenig – also höchstens um die 0,4 Cent je Kilowattstunde steigen.
Tipps für Verbraucher
Wer gar nichts tut und sich einfach mit der Preiserhöhung abfindet, macht einen Fehler, denn dieses Verhalten spült den Versorgern das meiste Geld in die Kasse: In der Grundversorgung liegen die Margen immer noch am höchsten. Erstes Gebot ist der Wechsel zu einem anderen Anbieter oder zu einen günstigeren Angebot beim bisherigen Lieferanten. Bei Preiserhöhungen hat der Verbraucher immer ein Sonderkündigungsrecht. Er muss davon allerdings zügig, mindestens innerhalb von vier Wochen, Gebrauch machen. Auf jeden Fall sollte der neue Preis nur unter Vorbehalt bezahlt werden.
Vom Regen in die Traufe
Neben fragwürdigen Vorkasse-, Paket- und Bonusmodellen, von denen man tunlichst die Finger lassen sollte, gibt es leider auch immer mehr Unternehmen, die wechselwillige Kunden aufnehmen. Doch kaum ist der Vertrag unterschrieben, erhöhen die vermeintlichen Billigheimer gleichfalls ihre Tarife. Diese Masche kommt leider immer öfter vor und frustriert wechselbereite Kunden enorm.
Wer wechseln möchte, kann sich mit dem ausgewählten Unternehmen in Verbindung setzen und erfragen, ob Preiserhöhungen geplant sind. Das ist allerdings wenig erfolgversprechend, zumal eine solch unverbindliche Auskunft keine Rechtssicherheit schafft. Sicherer ist ein Festpreistarif mit einer einjährigen Preisgarantie. Als Devise gilt: Je einfacher der Vertrag (ohne Bonus-Schnickschnack), desto sicherer schafft man Klarheit über den eigentlichen Preis.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass nun zunächst die Preise der Grundversorger erhöht werden und die Sondervertragskunden später nachziehen. Preiserhöhungen in der Grundversorgung müssen mindestens sechs Wochen vorher angekündigt werden. Die letzte „Welle" von Preiserhöhungen in der Grundversorgung für das laufende Jahr wird meist zum 1. Dezember wirksam, muss also bis zum 15. Oktober angekündigt sein. Im Anschluss daran werden in aller Regel auch die Sondervertragskunden zur Kasse gebeten. Deshalb sollte jeder Kunde bei einer angekündigten Preiserhöhung rasch einen Festpreisvertrag abschließen.
Richtig rechnen!
Übrigens sollte man bei der Berechnung von Kosten und Ersparnissen auch die Zahlenakrobatik der Versorger bei ihren Ankündigungen im Auge behalten – und richtig rechnen:
Die oft angegebenen monatlichen Durchschnittskosten (entspricht damit bei einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh einer Belastung von xxx Euro monatlich) sind häufig eine dreiste Irreführung. Von den oft als repräsentativem Jahresverbrauchswert angegebenen 20.000 kWh verteilen sich nämlich allein schon etwa 16.000 kWh auf nur sechs Wintermonate. Das bedeutet, dass die monatliche Belastung in Wirklichkeit sehr viel höher ist, weil nämlich im Winter nicht 20.000 / 12 = 1.667 kWh im Monat verbraucht werden, sondern etwa 2.667 kWh. Im Frühsommer, wenn – und falls – die Preise wieder sinken, ist dann die Entlastung umso geringer, weil sich auf die Sommermonate nur etwa 4.000 kWh verteilen, also weniger als 700 kWh/Monat – an denen die Verbraucher allerdings deutlich weniger sparen, als die Beispielrechnung aufführt. Eine Preissenkung bringt nur dann etwas, wenn sie auf den Herbst oder Winter fällt – was sehr selten vorkommt.