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Bisherige Klimaschutz- und Energiewendeziele werden mit dem neuen Koalitionsvertrag aufgegeben und neue Ziele nur vage angedacht.

Regierungskoalition ohne Klimaplan

Bisherige Klimaschutz- und Energiewendeziele werden mit dem neuen Koalitionsvertrag aufgegeben und neue Ziele nur vage angedacht. Statt direkt eine CO2-Abgabe zu vereinbaren, verrennt sich das Papier in technischen Sackgassen und politischen Allgemeinplätzen.
Eine Analyse mit konkreten Handlungsvorschlägen von Dr. Peter Becker und Martin Lohrmann.

(27. Juni 2018) Die Regelungen im Koalitionsvertrag zur Energiewende und zum Klimaschutz sind traurig: Das Klimaschutzziel für 2020 wird aufgegeben. Damit wird zugleich der deutsche Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen ausgehöhlt. Die neuen Ziele sind nur allgemein beschrieben. Die Wege dorthin soll eine Kommission unter dem Namen „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ erst noch finden. Bis dies geschieht und daraus möglicherweise ein Gesetz entsteht, wird noch viel Zeit vergehen und Lobbyismus betrieben werden.

2759 CO2 Schriftzug Himmel / Foto: acinquantadue / stock.adobe.com

Verdopplung der Stromproduktion

Die Aussagen zur Energiewende enttäuschen noch mehr. Ein Anteil von etwa 65 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 wird „angestrebt“. Wünschenswert sei die Deckung des „zusätzlichen Strombedarfs zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie“. Man ahnt: Die haben sich tatsächlich schon mit der Sektorenkopplung befasst! Aber dass für eine Sektorenkopplung, die die Klimaschutzziele zu erreichen erlaubt, eine Verdopplung der Stromproduktion nötig ist, kann man nirgends lesen.

Power-to-X

Auch bekennt sich die Regierung zu Power-to-X. Allerdings ohne konkrete Vorschläge für die Lösung der bestehenden Herausforderungen. Einen kritischen Blick auf Power-to-Gas liefert beispielsweise der Aufsatz „Wasserstoff aus Strom beziehungsweise Power-to-Gas – das umwelt- und klimabelastende, teure und unnötige Beschäftigungsprogramm für Atom- und Kohlekraftwerke“ von Dr. Hartmut Euler. Volltext-PDF: bdev.de/eulerpower

Konkrete Unverbindlichkeit

Ein wichtiger Grund für die Unverbindlichkeit der Aussagen ist nicht nur der politische Dissens, sondern die hohe Komplexität des Stoffs. So liegt der Zusammenhang zwischen der Einführung einer CO2 -Abgabe und der Strom- beziehungsweise Energiebesteuerung nicht auf der Hand. Dieser Beitrag soll Ihnen dazu Denkansätze liefern und zur Diskussion anregen.

2759 Dr. Peter Becker

Dr. Peter Becker ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Energierecht, Schriftleiter der Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) und Ehrenpräsident der deutschen Sektion  der „International Association of Lawyers against Nuclear Arms“.

CO2 -Abgabe

Die Forderung nach Einführung einer „wirksamen CO2 -Bepreisung in dieser Legislaturperiode“ findet viel Unterstützung. Denn es gibt gute Gründe für eine solche CO2 -Steuer. Andere Steuern können und sollten dafür abgeschafft werden. Die Erneuerbaren und die Verbraucher würden davon profitieren – mehr Gerechtigkeit wäre die Folge. In der letzten Ausgabe der Energiedepesche wurden bereits viele wichtige Argumente zusammengetragen, die für eine CO2 -Steuer an Stelle der jetzigen Strom- und Energiesteuern sprechen (Energiedepesche 1/2018, S. 22-25). Als schnelle Übergangslösung, bis zur Umsetzung dieses grundlegend neuen Konzeptes, könnte aber auch eine besser gestaltete Energiesteuer dienen.

Aktuelle Strom- und Energiesteuer

Durch das Energiesteuergesetz werden seit dem Jahr 2008 sämtliche fossilen Energieträger belastet, die zur Wärmeerzeugung oder als Kraftstoff verwendet werden. Fossile Energieträger, die der Stromerzeugung dienen, werden hingegen nicht der Energiesteuer unterworfen, weil sie der Stromsteuer unterliegen. Anders als die Energiesteuer wird jedoch bei der Erhebung der Stromsteuer nicht nach der Herkunftsquelle des Stroms und der Klimaschädlichkeit unterschieden; vielmehr belastet die Stromsteuer undifferenziert jeglichen Strom, der dem öffentlichen Netz entnommen wird.

2759 Martin Lohrmann

Martin Lohrmann ist Volkswirt und beschäftigt sich seit 1978 mit Energieprojekten, aktuell hauptsächlich mit der Bürgerenergiebewegung. Für mehr als 50 Nahwärme-Projekte erstellte er Machbarkeitsstudien zusammen mit Bürgern vor Ort. www.wirtschaft-umwelt.de

Kritik an der Stromsteuer

Sowohl der Deutsche Industrie- und Handelskammertag als auch der Verbraucherzentrale Bundesverband fordern inzwischen, dass die Stromsteuer auf den Prüfstand gestellt werden muss, weil die Strompreise seit Einführung der Steuer massiv gestiegen sind und jeder Verbraucher daher ohnehin zu Effizienzmaßnahmen gezwungen sei. Mit der Stromsteuer werde keine positive Lenkungswirkung mehr erreicht. Die Steuer wirke jetzt vielmehr kontraproduktiv, weil sie Unternehmen und Verbrauchern Mittel für die Durchführung von Investitionen in Effizienzmaßnahmen entziehe.

Parallel dazu fordern für den Klimaschutz engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie nicht wenige kleine und große Unternehmen, dass mangels wirksamem europäischem CO2 -Emissionshandel auch in Deutschland eine nationale CO2 -Steuer nach dem Vorbild von Frankreich, Schweden, Schweiz, Großbritannien oder anderen Staaten erhoben werde, um die Verbrennung von fossilen Energieträgern zurückzudrängen und den Umstieg auf erneuerbare Energien finanziell anzureizen.

Belastungsumschichtung

Vor dem Hintergrund der Zusatzbelastungen, die auf private und gewerbliche Verbraucher durch Netzausbau, Ökostromausbau und Reservekraftwerksaufbau in den nächsten Jahren zukommen, können nur sinnvoll wirkende Belastungsumschichtungen eine breite bürgerschaftliche und geschäftliche Unterstützung finden. Dieses kann eine Belastungsumschichtung sein, welche zu einer Verringerung der Spreizung zwischen den sehr niedrigen Strombeschaffungskosten der privilegierten Industrieunternehmen und den viel höheren Strompreisen für nicht privilegierte Unternehmen und private Verbraucher führt.

Fossile Energien besteuern

Nötig ist eine Belastungsumschichtung, mit der der Strom aus erneuerbaren Energien entlastet und der aus fossilen Energien belastet wird. Es geht um die Beseitigung einer gravierenden Unwucht im Marktdesign: Sie besteht darin, dass der Gesetzgeber dem Strom der konventionellen Bestandsanlagen keine Umlagen aufbürdet, die dessen externe Kosten (Klimafolgen, Gesundheits- und Umweltschäden, Atommüllentsorgung usw.) kompensieren. Demgegenüber können die inzwischen sehr kostengünstigen Stromangebote der Solar- und Windkraftanlagen mit ihren geringen Folgekosten gar nicht bei den Verbrauchern ankommen. Dieser Strom wird durch das EEG in großen und wachsenden Mengen ohne Preisuntergrenze auf den Spotmarkt gelenkt und drückt den Börsenpreis auf ein irreal niedriges Preisniveau, das keinerlei Impulse für Investitionen liefert. Andererseits müssen die EE-Anlagen durch Finanzierung über die EEG-Umlage über Wasser gehalten werden und stehen damit fälschlich als Preistreiber da. Dieses bizarre Spiel kann und darf nicht mehr beliebig weiterbetrieben werden.

Gerechte Energiesteuer statt Stromsteuer

Die Stromsteuer wird abgeschafft oder von derzeit 2,05 Cent je kWh auf die von der EU vorgegebenen Mindestbesteuerung von 0,05 Cent/kWh abgesenkt. Im Gegenzug werden durch das Energiesteuergesetz endlich auch die fossilen Energieträger, die der Stromerzeugung dienen, mit der Energiesteuer belastet. Die Steuersätze für Braunkohle, Steinkohle, Erdgas und Erdöl werden so festgelegt, dass sie die Mengen an CO2 widerspiegeln, die durch die Verbrennung von einer Energieeinheit des jeweiligen Energieträgers freigesetzt werden.

Ziel: Preisneutralität

Ziel muss sein, dass bei Zugrundelegung der fossilen Energiemengen, die im Jahr 2017 für die Stromerzeugung eingesetzt wurden, ein Steueraufkommen von 6,6 Mrd. Euro herauskommt.

Eine so angelegte Steuerreform ist aufkommensneutral und bezogen auf die gesamte nachgefragte Strommenge preisneutral. Die so gesetzte Energiesteuer verändert die Wirkungen des Marktes. Sie verteuert die Brennstoffkosten des Stroms aus fossilen Energien in sämtlichen Linien der Strombeschaffung, sei dies die Stromeigenerzeugung durch Großverbraucher, der Stromdirekteinkauf von Großverbrauchern bei Großkraftwerken oder der Stromeinkauf an der Strombörse. Das Preisniveau an der Börse steigt zudem wieder an, soweit es in den Zeiten von knappem Solar- und Windstrom durch die konventionellen Grenzkostenkraftwerke gesetzt wird. Eine sinkende EEG-Umlage ist die unmittelbare Folge. Der tatsächliche Strompreis der konventionellen Bestandskraftwerke wird sichtbar. Die stark privilegierten Stromgroßverbraucher werden die maßvoll höheren Stromkosten tragen können. Die große Zahl der nicht privilegierten Unternehmen und privaten Verbraucher bezahlt für den Strom aus fossilen Energien zwar ebenfalls einen höheren Beschaffungspreis. Insgesamt fällt ihre Stromrechnung aber kleiner aus, weil die Stromsteuer wegfällt und die EEG-Umlage sinkt.

Ziel: Flexibilisierung

Auch die Flexibilitätsoptionen, deren Entwicklung derzeit durch die niedrigen Preise für fossil erzeugten Spitzenlaststrom gehemmt wird, erhalten einen marktgetriebenen Anschub. Soweit Strom aus fossilen Energieträgern erzeugt wird, würde durch die vorgeschlagene neue Energiesteuergestaltung eine effiziente Brennstoffnutzung erzwungen. Die Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung erhält marktgetriebene Unterstützung. Im KWK-Modus betriebene Gaskraftwerke können sich gegenüber den Kohlekraftwerken behaupten.

Der Gesetzgeber muss handeln

Wer das Marktdesign nicht ändern will, bleibt im Förderdschungel hängen, verspielt hohe Kostensenkungspotenziale beim Ausbau der erneuerbaren Energien, täuscht die Öffentlichkeit über die wahren Kosten der fossilen Energien und kann die Klimaschutzziele nicht erreichen. Es ist höchste Zeit zum Handeln!

letzte Änderung: 06.01.2017