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Geld für AKW Hinkley Point

Von Louis-F. Stahl

(6. November 2020) Noch kurz vor dem Brexit zum Ende des Jahres 2020 urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 22. September 2020, dass der Bau zwei neuer Reaktoren für das Atomkraftwerk „Hinkley Point C“ mit Subventionen realisiert werden darf (Az. C-594/18P). Die große Kammer des EuGH bestätigt damit das Urteil des Europäischen Gerichtes aus erster Instanz vom 12. Juli 2018 (Az. T‑356/15). Österreich klagte gegen die staatlichen Beihilfen für das Atomkraftwerk, da neue Atomkraftwerke anders als ein Ausbau der Erneuerbaren „nicht im gemeinsamen Interesse“ der Unionsstaaten stünden. Dieser Argumentation wollten die angerufenen Gerichte beider Instanzen nicht folgen. Jedes EU-Mitglied habe das Recht, zwischen verschiedenen Energiequellen zu wählen, so die Richter.

Großbritannien hat den künftigen AKW-Betreibern eine staatliche Förderung von umgerechnet rund 11 Cent/kWh für jede erzeugte Kilowattstunde plus Inflationsausgleich über 35 Jahre zugesagt. Insgesamt soll das Atomkraftwerk über 60 Jahre hinweg Strom einspeisen dürfen. Schätzungen taxieren die Gesamtsumme der Beihilfen für die ersten 35 Jahre auf 70 bis 110 Mrd. Euro. Darüber hinaus wurde eine Entschädigung zugesagt, falls das Kraftwerk aus politischen Gründen vorzeitig abgeschaltet werden muss.

1209  Gut gesicherte Baustelle des Atomkraftwerkes Hinkley Point C / Foto:  Nick Chipchase (CC BY-SA 2.0)

Gut gesicherte Baustelle des Atomkraftwerkes Hinkley Point C

Die Bauarbeiten auf dem ähnlich einer Militärbasis mit mehrfachen Perimeterschutzanlagen gesicherten Areal sollen nicht mehr, wie ursprünglich geplant, im Jahr 2021, sondern nunmehr etwa in den Jahren 2025 bis 2027 fertiggestellt werden. Die Gesamtbaukosten für die zwei Reaktoren sind von einstmals umgerechnet 13,6 Mrd. Euro auf inzwischen 25,2 Mrd. Euro gestiegen. Der chinesische Staatskonzern China General Nuclear Power Group hat sich in einer nachträglichen Finanzierungsrunde mit rund 6,6 Mrd. Euro an dem Projekt beteiligt und darf sich über die vom britischen Staat mit europäischem Segen garantierten Renditen freuen.  

Russland

Schwimmendes Atomkraftwerk

Russland: Schwimmendes Atomkraftwerk

Von Louis-F. Stahl

(3. Juli 2019) Am 31. März 2019 wurden die beiden Druckwasserreaktoren des seit 2007 im Bau befindlichen russischen Kernkraftwerks Akademik Lomonossow nahe Murmansk erstmals hochgefahren. Wo das neue AKW künftig Strom liefern soll, war lange Zeit fraglich. Zunächst sollte die Stadt Sewerodwinsk das AKW erhalten, dann die Stadt Wiljutschinsk und nun soll das schwimmende Kraftwerksgelände nach Pewek im Nordosten Russlands geschleppt werden.

1209 AKW auf Schiff / Foto: Rosenergoatom

Trotz 70 MW elektrischer Leistung kann der 144 Meter lange Koloss nicht selbst fahren und muss nach Abschluss weiterer Tests im Sommer von Schleppern an seinen künftigen Einsatzort gezogen werden. Im November 2019 soll das AKW in Pewek eintreffen und dort rund 4.000 Einwohner sowie Erdölförderanlagen mit Strom und Prozesswärme versorgen.

An der russischen Entwicklung hat sich China ein Beispiel genommen: Noch dieses Jahr plant die Volksrepublik mit dem Bau eines eigenen schwimmenden AKW zu beginnen, das ab dem Jahr 2021 ebenfalls abgelegene Öl- und Gasförderstätten versorgen soll. So verkommt die Atomkraft zur risikoreichen Brückentechnologie für den weiteren Abbau fossiler Energieträger.

Atomkraft

AKW-Hersteller in Bedrängnis

Atomkraft: AKW-Hersteller in Bedrängnis

Von Louis-F. Stahl

(25. April 2019) Der weltweite Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung stagniert. Während Photovoltaik und Windenergie um 35 beziehungsweise 17 Prozent zulegen konnten, stieg die Erzeugungsleistung der Kernenergie im Betrachtungszeitraum einer neuen Studie nur um rund 1 Prozent. Diese Zahlen gehen aus dem World Nuclear Industry Status Report 2018 (WNISR) hervor. Der Report zeigt weiter, dass Strom aus PV- und Windkraftanlagen inzwischen deutlich günstiger ist als Strom aus neuen AKW. Neue Meiler werden nur noch gebaut, wenn ein Staat Bau und Betrieb der AKW mit Steuergeld finanziert.

Im Januar 2019 gab der AKW-Hersteller Hitachi bekannt, Planung und Bau von zwei Reaktoren in Großbritannien aufgrund steigender Kosten und Differenzen über die Höhe von Subventionen nicht weiter zu verfolgen. Infolgedessen hat der Hitachi-Konzern auch alle weiteren Planungen für unwirtschaftliche AKW-Neubauten gestoppt und angekündigt, zum 31. März 2019 rund 300 Milliarden Yen (2,4 Mrd. Euro) an vergeblichen Aufwendungen abzuschreiben.

Nicht viel besser ergeht es dem französischem AKW-Hersteller Areva. Die Fertigstellung der Baustellen im finnischen Olkiluoto und dem französischem Flamanville verzögert sich erneut und wird nicht mehr für dieses Jahr, sondern für das Jahr 2020 erwartet. Die Mehrkosten von derzeit rund 13,5 Mrd. Euro muss der AKW-Hersteller zu einem großen Teil selbst tragen und wäre daran fast gescheitert. So erging es bereits dem Toshiba-Konzern, der seit 2017 auch aufgrund der Verluste seiner Nuklearsparte insolvent ist.

Atomenergie: Restrisiko 1.000 Mal größer!

Studien zum so genannten „Restrisiko“ von Kernkraftwerken geben an, dass sich ein „größter anzunehmender Unfall“ (GAU), also eine Kernschmelze, einmal in 10.000 Jahren ereignet.

Restrisiko 1.000 Mal größer!

(27. Oktober 2017) Studien zum so genannten „Restrisiko“ von Kernkraftwerken geben an, dass sich ein „größter anzunehmender Unfall“ (GAU), also eine Kernschmelze, einmal in 10.000 Jahren ereignet. Dies entspricht einem Restrisiko von 10-4. Soweit die Theorie! Die Praxis hat diesen Wert inzwischen mehrfach als total geschönt entlarvt und widerlegt.

Zur Erinnerung: Der Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Harrisburg am 28. März 1979 liegt 38 Jahre zurück, die Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 31 Jahre und Japan mit einer dreifachen Kernschmelze in Fukushima ereignete sich 2011. Das sogenannte Restrisiko ereignete sich also nicht nur einmal, wie von der Theorie vorhergesagt, sondern nun schon dreimal und zwar nicht in 10.000 Jahren, sondern in nur 38 Jahren.

Das heißt, dass das tatsächliche Restrisiko drei Ereignisse in 38 Jahren beträgt = 3/38 = rund 10-1. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass das wahre Restrisiko um den Faktor 10-1/10-4 = 103 = 1.000 fach höher ist, als angenommen!

Im Klartext ist davon auszugehen, dass sich das so genannte Restrisiko nicht einmal in 10.000 Jahren realisieren wird, sondern rund alle zehn Jahre einmal stattfinden könnte. Entsprechend der Statistik ist ein weiterer Unfall bis spätestens 2021 nicht auszuschließen. Belgische, französische und tschechische Reaktoren stehen als Kandidaten bereit. Soviel zur vielbeschworenen Sicherheit von Kernkraftwerken und ihrem angeblich so verschwindend geringem Restrisiko!

Dieses Risiko ist in Wirklichkeit so groß, dass nicht auszuschließen ist, dass es der Menschheit in nicht allzu ferner Zukunft tatsächlich den Rest geben könnte.

Dr.-Ing. Helmut Lawitzka, Oedekoven

Misere der Atomenergie

Der Bau und Betrieb von Atomkraftwerken erweist sich weltweit als gefährlich und überteuert. Ein Glück, dass die erneuerbaren Energien inzwischen wesentlich kostengünstiger sind. Wir beleuchten hier das Debakel der Kernenergie, das noch lange nicht beendet ist. Denn Frankreich und Großbritannien sind sowohl militärisch als zivil unbeirrt und gemeinsam auf dem Atompfad.
Von Aribert Peters

(13. Juni 2017) Mit dem Bau der zwei umstrittenen Reaktoren „Hinkley Point C“ an der englischen Südwestküste wurde im März 2017 begonnen. Es ist das dritte Atomkraftwerk vom Typ Areva EPR, mit dessen Bau begonnen wird – dabei ist die Fertigstellung der ersten Anlage seit 2009 überfällig und versinkt in Baumängeln.

Bisher ist noch kein European Pressurized Water Reactor (kurz EPR, übersetzt Europäischer Druckwasserreaktor) in Betrieb gegangen. Die erste Baustelle wurde 2005 auf der finnischen Halbinsel Olkiluoto eröffnet, die zweite im französischen Kernkraftwerk Flamanville 2007. Beide Baustellen werden wegen teilweise grotesker Baumängel nicht fertig.

1209 Atomkraftwerk Tschernobyl / Foto: clipdealer.com/helios8

So soll einer der beiden Druckbehälter aus minderwertigem Stahl gefertigt worden sein – ist aber bereits fest im Komplex verbaut. Ob und wie die Materialfehler beseitigt werden können, oder ob der Bau wieder abgerissen werden muss, ist fraglich. Die Inbetriebnahmen waren für 2009 und 2012 geplant. Frühestens für 2018 rechnet man mit einer Fertigstellung.

Kostenexplosionen

Auch die Kosten der beiden EPR-Baustellen laufen aus dem Ruder: In Finnland wurden 3,2 Milliarden Euro vereinbart. 2012 wurde zuletzt von mehr als 8,5 Milliarden Euro ausgegangen. Neuere Zahlen wurden wegen laufender Gerichtsverfahren über die Kostentragung nicht veröffentlicht. Der zweite EPR in Frankreich wurde für 3,3 Milliarden Euro beauftragt. Aktuell werden die Baukosten mit rund 10,5 Milliarden Euro veranschlagt. Dabei ist fraglich, ob der mangelhafte Reaktor überhaupt reparabel ist.

Baubeginn in England

In Großbritannien ist man dennoch optimistisch: 1.800 Bauarbeiter sind in Hinkley Point mit Erdarbeiten für zwei Reaktoren beschäftigt. Die Betonarbeiten für die beiden Reaktoren sollen in 720 Tagen, also in knapp zwei Jahren, abgeschlossen sein. Eine große Anzeigetafel zählt die Tage bis zum Tag 0 bereits rückwärts. Während der britische Rechnungshof von Baukosten in Höhe von etwa 34 Milliarden Euro ausgeht, kommunizieren die Projektpartner rund 21 Milliarden Euro. Ob die tief verschuldete EDF zwei Drittel der Baukosten wird bezahlen können, bleibt abzuwarten. Das Land NRW hat 23,3 Milliarden Euro aus seinem Pensionsfonds bei EDF und dem Betreiber der belgischen Atomkraftwerke Doel und Tihange investiert. Eine Pleite könnte damit auch deutsche Pensionäre teuer zu stehen kommen. In jedem Fall werden aber beträchtliche Folgekosten auf die britischen Steuerzahler zukommen: Die britische Regierung garantiert einen Strompreis von 10,6 Cent/kWh mit Inflationsausgleich über 35 Jahre.

Brexit-Implikationen

Eigentlich hätten auch die europäischen Steuerzahler durch EURATOM rund 4,4 Milliarden Euro beigesteuert – diese Finanzspritze wird durch den Brexit wohl entfallen. Mit dem Brexit wird Großbritannien nicht nur aus der EU, sondern auch aus der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM austreten.

Japanischer AKW-Hersteller insolvent

Der japanische Traditionskonzern Toshiba ist weltweit für seine Elektronik- und Haushaltsgeräte bekannt. Angefeuert durch die von der japanischen Regierung ausgerufene Renaissance der Kernenergie setzte Toshiba als erfahrener AKW-Hersteller (u.a. federführend beim Bau von Fukushima Daiichi) im Jahr 2006 alles auf die Karte Kernenergie, kaufte den amerikanischen AKW-Weltmarktführer Westinghouse und fusionierte die Nuklearsparten. Nachdem sich das Geschäft spätestens seit 2011 schlecht entwickelte, wurden zunächst rund 7.000 Mitarbeiter entlassen. Am 29. März 2017 musste Westinghouse Nuclear Insolvenz anmelden. Toshiba hat nicht nur den Kaufpreis in den Sand gesetzt, sondern muss auch einen Großteil der Verluste tragen. Damit steht Toshiba als Konzern nach Analysteneinschätzungen insgesamt vor dem Ende.

Schweizer Atomkraft schöngerechnet

Der Schweizer Ökonom und Politiker Rudolf Rechsteiner weist der Schweizer Atomwirtschaft schwere Rechenfehler vor. Einer von drei Schweizer Atomkraft-Betreibern, die Bernischen Kraftwerke, werden ihr Atomkraftwerk Mühleberg 2019 schließen.

Statt in Nachrüstungen zu investieren, stecken sie ihr Geld in die norwegische Windfarm Fosen, die ab 2018 Windstrom für 3,5 bis 4 Cent/kWh liefern wird. Auch andere Unternehmen und Privatleute haben in erneuerbare Energien investiert. Die PV-Kapazität in der Schweiz hat sich von 49 Megawatt im Jahr 2008 auf inzwischen 1.394 Megawatt vervielfacht. Nur 120 Megawatt davon wurden gefördert.

Besonders der Eigenverbrauch ist in der Schweiz wirtschaftlich und wird nicht durch extreme Bürokratie oder widersinnige EEG-Umlagen auf EE-Strom ausgebremst.

Die drei Atomkraftwerke erzeugen den Strom laut Rechsteiner zu Gestehungskosten von 4,6 sowie 5,6 und 8,5 Rappen (Rp) je kWh. Der Marktpreis liegt jedoch bei 3,1 Rp je kWh. Die Atomkraftwerke machen also umso mehr Verlust, je mehr Strom sie erzeugen. Dabei sind die Kosten für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds noch nicht eingerechnet.

Kein „goldenes“ Ende

Der Öffentlichkeit werden auch in der Schweiz Märchen aufgetischt: Die Anlagen seien modernisiert und hätten variable Kosten von 2,5 Rp je kWh, der Weiterbetrieb würde also die Defizite vermindern. Kosten für Reparaturen und Unterhalt werden als Investitionen umdeklariert und dadurch die Betriebskosten geschönt, so Rechsteiner. Ein „goldenes Ende“ gibt es bei den Atomkraftwerken nicht, weil mit zunehmendem Alter Risse im Reaktordruckbehälter durch die Versprödung des Materials entstehen. Substanzerhaltende Maßnahmen und Erdbebenertüchtigung summieren sich auf Milliardenbeträge. Das AKW Beznau sollte für 150 Millionen Franken erdbebensicher gemacht werden. Daraus wurden am Ende über 700 Millionen Franken. Die verbleibenden Risse zwangen zur Stilllegung – eine Bauruine mit Milliardenschulden. Nach einer Umfrage lehnen 60 Prozent der Bevölkerung weitere Subventionen für die Atomkraft ab.

Tatsächlich lasse sich die gesamte Schweizer Stromproduktion aus Atomkraft durch Bezugsverträge für grünen Strom aus Europa sowie bestehenden und zusätzlichen erneuerbaren Anlagen ersetzen, so Rechsteiner. Am 21. Mai 2017 stimmten 58 Prozent der Schweizer in einem Referendum für einen Ausstieg aus der Atomenergie ohne festes Stilllegungsdatum, den Ausbau erneuerbarer Energien und höhere Energieeffizienz.

Störfall in Norwegen

Ende Januar 2017 wurde die Öffentlichkeit mit spärlichen Meldungen über eine radioaktive Wolke informiert. Sie enthalte Jod 131 in geringer und damit ungefährlicher Konzentration und verteile sich über Europa. Die EU-Staaten unternahmen keine erkennbaren eigenen Anstrengungen, um die Ursache des Phänomens zu erkunden. In den deutschen Medien fand die Wolke nahezu keine Erwähnung. Am 2. März 2017 veröffentlichte die Internationale Atomenergiebehörde IAEA einen Bericht über einen Störfall im Forschungsreaktor Halden in Norwegen nahe der Grenze zu Schweden. Er ereignete sich bereits am 24. Oktober 2016, wurde seitdem medial aber kaum aufgegriffen. In der Anlage kam es nach dem Ausbau von Brennelementen zu einer Freisetzung radioaktiver Gase, die eine Evakuierung der Anlage erforderlich machte und erst nach rund einer Woche unter Kontrolle gebracht wurde. Die norwegische Atomaufsicht bestreitet, dass der Zwischenfall in Halden die Ursache für die Monate später entdeckte radioaktive Wolke sei.

Gundremmingen Block A: Deutsche Geschichte

Mittlerweile in Vergessenheit geraten ist, dass sich auch in Deutschland bereits ein schwerer Atomzwischenfall ereignet hat. Noch dazu im damals größten zivilen Atommeiler der Welt: Block A des Kernkraftwerks Gundremmingen ging 1967 ans Netz. Nachdem im Jahr 1975 zwei Arbeiter durch austretenden radioaktiven Dampf ihr Leben verloren, ereignete sich am 13. Januar 1977 der bis heute schwerste Atomstörfall in der Geschichte Deutschlands. Die Anlage wurde mit radioaktivem Wasser geflutet und musste danach stillgelegt werden. Seit 1983 wird am Abriss der Anlage gearbeitet.

Mittlerweile ist der Reaktor weitgehend demontiert, nur die Gebäude stehen noch. 1984 gingen trotz dieser Vorfälle zwei weitere Blöcke in Gundremmingen ans Netz. Doch auch die Tage dieser Reaktoren sind gezählt: 2021 soll Gundremmingen endgültig abgeschaltet werden, so will es der beschlossene Atomausstieg.

Schnelles Vergessen

Nicht nur in Deutschland und Norwegen werden Störfälle gerne übersehen. Nahe der Stadt Sewersk in Russland ereignete sich am 6. April 1993 in der kerntechnischen Wiederaufarbeitungsanlage Tomsk (auch als Tomsk-7 bekannt) ein Unfall, bei dem große Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt wurden. Rund 120 Quadratkilometer wurden kontaminiert. Auch der Kyschtym-Unfall 1957, der drittschwerste weltweit nach Fukushima und Tschernobyl, ist längst vergessen.

Weitere Berichte im Internet:

Hinkley Point gestoppt?

Es geht hoch her um das umstrittene und hoch subventionierte Atomkraftprojekt Hinkley Point in Großbritannien.

Hinkley Point gestoppt?

(10. September 2016) Es geht hoch her um das umstrittene und hoch subventionierte Atomkraftprojekt Hinkley Point in Großbritannien. Der französische Staatskonzern EdF hatte sich gerade mit einjähriger Verzögerung und mit knapper Mehrheit für das Projekt entschieden. Zuvor war der EdF-Finanzvorstand aus Protest gegen das Projekt zurückgetreten.

1209 im Atomkraftwerk

Auch die Chinesen, die ebenfalls am Projekt beteiligt sind, wollen ihren Hinkley-Anteil von 40 auf 30 Prozent reduzieren. Die veranschlagten Projektkosten sind von ursprünglich 14 auf 21 Milliarden Euro geklettert. Die neue britische Premierministerin Theresa May hat jedoch, anders als ihr Vorgänger, Vorbehalte gegen das Projekt und will neu entscheiden. Ein Kontrollbericht des britischen Parlaments hat den Zuschussbedarf über die Laufzeit auf 36 Milliarden Euro beziffert. Dieser wäre jetzt voraussichtlich allein von den Bewohnern der Brexit-Nation zu zahlen, wenn Großbritannien aus der EU austritt.

Die Beihilfe für Hinkley Point war zuvor von der EU genehmigt worden, wogegen eine Klage von Österreich beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist. Die beiden bisher begonnenen Reaktoren des Hinkley-Typs (EPR) in Finnland und Frankreich sind bereits zum finanziellen Disaster für EdF geworden (Finnland Olkiluoto und Frankreich Flamanville).

Stadtwerke gegen Hinkley Point

Klage wegen Wettbewerbsverzerrung gegen die EU-Kommission vor dem EuGH

Stadtwerke gegen Hinkley Point

(23. Juni 2015) Die Stadtwerke Tübingen (SWT) bereiten zusammen mit den Stadtwerken Mühlacker, Schwäbisch Hall und Bietigheim-Bissingen eine Klage wegen Wettbewerbsverzerrung gegen die EU-Kommission vor dem EuGH vor. Die Kommission hatte 2014 Subventionen in Milliardenhöhe für den Bau zweier neuer Blöcke mit insgesamt 3.000 MW im britischen KKW in Hinkley Point zugesagt. Die Stadtwerke befürchten, dass der subventionierte Atomstrom ihr Geschäft mit Strom aus erneuerbaren Energien verhindert.

1202 1209 3040 Atomkraftwerk / Pixelio.de/Rosel Eckstein

Mit einer Beschwerde bei der EU, der sich bereits 75.000 Bürger angeschlossen haben, macht die EWS Schönau gegen diese Pläne mobil. Die Staaten Österreich und Luxemburg wollen klagen.

Klage gegen Atombeihilfe

Greenpeace Energy will eine Nichtigkeitsklage beim einreichen.

Klage gegen Atombeihilfe

(25. März 2015) Wenn die Beihilfegenehmigung der EU-Kommission offiziell erscheint, will Greenpeace Energy eine Nichtigkeitsklage beim Luxemburger EuGH einreichen. Der Ökostromanbieter verklagt die Kommission wegen Beihilfen für den Bau des KKW "Hinkley Point C" im Südwesten Englands.

Der hoch subventionierte Atomstrom werde den europäischen Wettbewerb verzerren und auch in Deutschland die Börsenpreise beeinflussen, was Ökostromanbieter benachteilige, so Greenpeace Energy. Bei der Klage wird das Hamburger Unternehmen von der Berliner Kanzlei Becker Büttner Held beraten. Die Kommission hatte im Oktober 2014 Staatsbeihilfen für den Bau der zwei Druckwasserreaktoren über umgerechnet 22 Mrd Euro genehmigt.

AKW-Neubau Hinkley Point

Drohungen der britischen Regierung gegen Klageabsichten Österreichs

AKW-Neubau Hinkley Point: Drohungen der britischen Regierung gegen Klageabsichten Österreichs

(13. Februar 2015) Zehntausende Bürger haben eine Beschwerdewelle gegen Subventionen für das in Großbritannien geplante Atomkraftwerk Hinkley Point ausgelöst. Mehr als 50.000 Menschen haben offiziell Beschwerde an die EU-Kommission gerichtet. Die Kommission hatte im Herbst die britischen Subventionen für das AKW gebilligt und damit grünes Licht für das Atomprojekt gegeben. Die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) hatten daraufhin die Beschwerde-Aktion gestartet.

Aktuell gewinnt diese durch die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente der österreichischen Diplomatie gewaltig an Brisanz. Österreich hatte bereits vor Monaten eine Klage gegen den Kommissionsbeschluss angekündigt und wird nun offenbar von der britischen Regierung massiv unter Druck gesetzt, die Klageabsicht fallen zu lassen. In einer Depesche des österreichischen Botschafters in London berichtet dieser von "einer systematischen Erarbeitung von Österreich schädigenden Gegenmaßnahmen" durch Großbritannien und "negativen Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen". Großbritannien werde "jede Gelegenheit wahrnehmen, Österreich zu klagen oder zu schaden", heißt es in dem Schreiben, das gestern von österreichischen Medien veröffentlicht wurde.

Hinkley Point

EU genehmigt Atomsubventionen

Hinkley Point: EU genehmigt Atomsubventionen

(15. Oktober 2014, geändert 15. Dezember 2014) Die EU-Kommission hat die Subvention des britischen Atomkraftwerkes Hinkley Point C abgesegnet. Die genehmigten Beihilfen setzen neue Rekordmarken in der europäischen Subventionspolitik und zeigen deutlich, welche absurden Blüten die Unwirtschaftlichkeit der Atomenergie treibt.

Die französische EDF möchte am britischen Atomstandort Hinkley Point ein Atomkraftwerk bauen, das sich nur mit exorbitanten Zuschüssen für den Konzern rechnet. Die britische Regierung plant dafür einen garantierten Abnahmepreis von 11,7 Cent je kWh. Mit den beantragten Garantien inklusive Inflationsausgleich stünde laut Berechnungen der Financial Times der Stromabnahmepreis im Jahr 2058 bei 35,5 Cent je kWh. Das entspricht etwa dem zehnfachen des aktuellen Preises an der Leipziger Börse.

Die Regierung Österreichs hat bereits angekündigt, gegen die Pro-Atom-Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klagen. Die EWS Schönau sowie auch der Bund der Energieverbraucher e. V. werden die Klage aktiv unterstützen und  einen bundesweiten Klagefonds ins Leben rufen.

Im Gegensatz zu Österreich unternimmt die Regierung Merkel nichts – trotz der Lippenbekenntnisse zur Energiewende und bezahl-baren Strompreisen. Im Gegenteil: Angela Merkel und Sigmar Gabriel sollen einem Artikel des Handelsblatts zufolge im Gegenzug für ihr „Ja“ zum britischen Deal von der EU-Kommission grünes Licht für die umstrittene Befreiung der deutschen Industrie von der EEG-Umlage bekommen haben. Damit richten sich beide Seiten des Deals gegen die Stromkunden.

Prüfauftrag für die Rückstellungen

Die Bundesländer forderten die Bundesregierung auf, die Kosten für den Atomausstieg zu überprüfen

Prüfauftrag für die Rückstellungen

(13. Oktober 2014) Die Bundesländer forderten die Bundesregierung auf, die Kosten für den Atomausstieg zu überprüfen und die Rückstellungen der KKW-Betreiber von 35,8 Mrd Euro so zu sichern, dass sie auch bei der Insolvenz eines KKW-Betreibers zur Verfügung stehen.

Zudem solle geprüft werden, dass die Versorger auch langfristig eine ausreichende Kostendeckung vorweisen.

Verschiedene Länderminister zweifeln, dass die Rückstellungen für die Kosten für Rückbau und Entsorgung reichen. Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz fordern eine Übertragung der Rückstellungen in einen öffentlichen Fonds. Das will auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der fordert, ein solcher Fonds müsse auch dafür sorgen, dass die KKW-Betreiber für voraussichtliche Kostensteigerungen haften.

Forschungsreaktor hat Zwischenfälle vertuscht

Expertenkommission hat beim Betrieb des HTR viele Fehler festgestellt.

Forschungsreaktor hat Zwischenfälle vertuscht

(30. April 2014) Eine Expertenkommission hat beim Betrieb des ab 1967 betriebenen und 1988 stillgelegten Hochtemperaturreaktors (HTR) im Forschungszentrum Jülich bei Aachen viele Fehler festgestellt. Zwischenfälle seien gar nicht oder in einer zu niedrigen Sicherheitskategorie gemeldet worden, hieß es.

1209 Forschungszentrum Jülich / Foto: Wikimedia Commons

Bei einem Dampferzeuger-Störfall 1978 seien 27.000 l Wasser in den inneren Teil des Reaktors eingedrungen. Erst sechs Tage danach sei der Reaktor heruntergefahren worden. Zudem sei ein Sicherheitsschalter für eine Schnellabschaltung so umgestellt worden, dass dieser unwirksam wurde. Die Einstufung des Vorfalls in die niedrigste Meldekategorie N sei nicht sachgerecht gewesen, so der Bericht.

Zudem sei der Reaktorkern zeitweise mit überhöhten Temperaturen betrieben und dadurch stark radioaktiv verseucht worden. Von einer gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung durch die Störfälle sei aber nicht auszugehen, hieß es.

Das Forschungszentrum gesteht die Fehler ein. Betreiber und Eigentümer des Kugelhaufenreaktors ist die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH (AVR) aus 15 kommunalen Stromunternehmen unter Führung der Stadtwerke Düsseldorf.

Archiv News zu Atomstrom

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Weitere Artikel zu diesem Thema finden Sie in unserem Archiv:

2011/2012 2010 2009 2008 2006/2007 2005 2004

Kampagne "Ausgestrahlt - gemeinsam gegen Atomenergie"

Anti-Atom-Demo am 5. September 2009 in Berlin

mehr unter www.ausgestrahlt.de

KettenreAktion: Menschenkette gegen Atomkraft 24. April 2010

(24. April 2010) 120.000 Menschen bilden am 24.4.2010 eine 120 Kilometer lange Menschenkette vom AKW Brunsbüttel an der Elbmündung quer durch Hamburg bis zum AKW Krümmel. Sie fordern "Atomkraft abschalten!"

Video: https://youtu.be/iENKYiVMWFE

Kampagne für den Atomausstieg

18_Kampagne_Atomausstieg

Die atomkritische ärztliche Friedensorganisation IPPNW hat im Super-Wahljahr 2009 gemeinsam mit EUROSOLAR und dem Deutschen Naturschutzring (DNR) eine Kampagne für den Atomausstieg und für ein zügiges Umsteuern auf 100% Erneuerbare Energie gestartet.

Kern der Kampagne ist ein achtseitiges Faltblatt mit dem Titel "Glaubst du das wirklich?"

Der Bund der Energieverbraucher e.V. unterstützt die Kampagne.

Wozu brauchen wir Atomkraftwerke?

(11.09.08) Deutschlands Atomkraftwerke sollen bis zum Beginn des übernächsten Jahrzehnts endgültig vom Netz gehen.

Wozu brauchen wir Atomkraftwerke?

Deutschlands Atomkraftwerke sollen bis zum Beginn des übernächsten Jahrzehnts endgültig vom Netz gehen. Gleichzeitig fordern Klimaschützer, die Nutzung fossiler Energieträger einzuschränken. Geht das überhaupt, und wenn ja, wie? Wird hierzulande der Strom knapp?
Von Bernward Janzing

(11. September 2008) Deutsche Atomkraftwerke haben im vergangenen Jahr 133 Milliarden Kilowattstunden Strom geliefert - 22 Prozent des deutschen Bedarfs. Gleichzeitig exportierte die Bundesrepublik 19 Milliarden Kilowattstunden. Ohne Kernkraft muss Deutschland künftig also 114 Milliarden Kilowattstunden ersetzen, einsparen oder importieren.

Bernward Janzing

Experten sind sich sicher, dass erneuerbare Energien die Lücke problemlos schließen können. Der Verband der Netzbetreiber rechnet für die nächsten Jahre mit einem Ausbau der jährlichen Ökostromerzeugung um durchschnittlich acht Milliarden Kilowattstunden. Dieses Tempo ist realistisch, denn es entspricht ziemlich genau dem jährlichen Wachstum, das die Erneuerbaren seit nunmehr acht Jahren vorlegen. Auf 15 Jahre hochgerechnet, liefert Ökostrom bis 2022 zusätzlich 120 Milliarden Elektrizität und kann die Atomkraft vollständig kompensieren.

Woher kommt der Strom der Zukunft?

Den Löwenanteil liefert vermutlich Offshore-Windkraft: Nach Prognosen der Stromwirtschaft soll dieser Zweig der Erneuerbaren bis 2013 etwa 15 Milliarden Kilowattstunden jährlich bringen. Im Jahr 2030 sollen es nach Plänen der Bundesregierung sogar 80 Milliarden Kilowattstunden sein. Zudem sollen die Kapazitäten für die Windkraft an Land in den nächsten fünf Jahren von derzeit 40 Milliarden auf künftig 50 Milliarden Kilowattstunden wachsen. Bis 2020 hält der Bundesverband Windenergie sogar eine Verdopplung für möglich.

Ebenfalls stark anziehen wird die Produktion von Solarstrom: Der Verband der Netzbetreiber schätzt, dass sich die Stromerzeugung aus der Sonne bis 2013 auf 6,6 Milliarden Kilowattstunden verdoppelt. Selbst wenn man konservativ rechnet und von einer Verdopplung der Solarstromkapazität alle fünf Jahre ausgeht, könnte die Photovoltaik 2020 rund 20 Milliarden Kilowattstunden jährlich liefern.

Betrachtet man nun allerdings die Prognosen der Vergangenheit, dann stellt man fest, dass sich die Entwicklung des Ökostroms stets deutlich rasanter vollzog, als es selbst kühnste Optimisten erwartet hatten. Als Greenpeace im Herbst 1991 ein Energiekonzept für Deutschland vorstellte, errechneten die Öko-Visionäre, dass 2020 Windkraftwerke in Deutschland 30 Milliarden Kilowattstunden erzeugen. Doch schon 2007 speisten Windkraftanlagen hierzulande 39,5 Milliarden Kilowattstunden ins Netz. Dieser Zweig stellte damit im vergangenen Jahr 6,4 Prozent des bundesweiten Strommixes. Insgesamt kamen die erneuerbaren Energien auf gut 14 Prozent.

Wie senkt man den Verbrauch?

Wenn die erneuerbaren Energien nun die wegfallende Atomkraft ersetzen können, bleibt eine Frage offen: Wie reduziert man zusätzlich den Anteil der fossilen Energien? Die Antwort ist klar: Um beide Ziele zu erreichen, muss der Stromverbrauch im Land sinken.

Das ist möglich, denn in unserer Wirtschaft schlummern enorme Effizienzpotenziale. Zum Beispiel beim Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Der KWK-Anteil an der gesamten Stromerzeugung betrug im Jahr 2006 hierzulande nämlich gerade einmal 12,5 Prozent. Andere Länder setzen schon längst auf diese hocheffizienten Technologie: In Dänemark beträgt der KWK-Anteil 41 Prozent, die Niederlande kommen auf 30 Prozent und Finnland produziert zu 35 Prozent KWK-Strom.

Doch auch moderne Technologie hilft, Stromfresser auszumerzen. So hat beispielsweise das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie ausgerechnet, dass auf diese Weise bis 2015 rund 75 Milliarden Kilowattstunden Strom eingespart werden könnten: Allein fünf Milliarden gehen auf das Konto von Elektroheizungen, die man austauschen sollte. Effizientere Beleutung von Büroräumen könnte 1,5 Milliarden Kilowattstunden sparen, bessere Kühl- und Gefriergeräte helfen, den Verbrauch um 1,7 Milliarden Kilowattstunden zu reduzieren. Effizientere Pumpen in den Heizungskellern bieten weiteres enormes Einsparpotenzial.

Daher wird für die Zukunft der deutschen Stromwirtschaft gerade diese Frage ganz entscheidend sein: Wie effizient werden wir unseren Strom künftig einsetzen? Dazu ein Rechenbeispiel: Steigt der Stromverbrauch in Deutschland jährlich um ein Prozent, wird der Nettostromverbrauch von heute 541 Milliarden auf 616 Milliarden Kilowattstunden im Jahre 2020 wachsen. Gelingt es jedoch, den Verbrauch jährlich um nur ein Prozent zu reduzieren, kommen wir im Jahr 2020 mit 474 Milliarden Kilowattstunden aus. Die Differenz zwischen beiden Szenarien beträgt 142 Milliarden Kilowattstunden - mehr, als alle Atomkraftwerke in Deutschland erzeugt haben.

Standortbestimmung für neue Atomkraftwerke

Karte Deutschland Kraftwerk-Standorte
Standorte für neue Atomkraftwerke in Deutschland

Die EWO Energietechnologie hat das von der CDU/CSU und der FDP-Fraktion des Bundestags definierte Szenario "fossil-nuklearer Energiemix" der Enquete-Kommission in konkrete Standorte umgesetzt.

EWO Kurzstudie Standortbestimmung für Kernkraftwerke

Wirtschaft will den Atomausstieg kippen

(12.02.05) - Die Industrielobby missbraucht das Argument Klimaschutz zugunsten der Atomkraft.

Wirtschaft will den Atomausstieg kippen

Damit ihre AKWs nicht abgeschaltet werden, geben sich Befürworter der Kernenergie plötzlich als Klimaschützer aus

(12. Februar 2005) Die Industrielobby missbraucht das Argument Klimaschutz zugunsten der Atomkraft: Der Geschäftsführer des Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, hat jetzt von der Bundesregierung gefordert, den Atomausstieg aus Gründen des Klimaschutzes rückgängig zu machen. Schon ist in in der Wirtschaft eine alte Debatte neu entflammt.

Zwar ist bislang noch nicht vom Neubau von Atommeilern die Rede - mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung sei Dank. Doch die Forderung, die bestehenden Reaktoren länger am Netz zu lassen, ist aus der Wirtschaft immer häufiger zu hören; auch der neue Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, sprang, kaum im Amt, auf diesen Zug auf. Plötzlich werden so dieselben Verbände, die noch beim Streit um den Emissionshandel von Klimaschutz nichts wissen wollten, bei der Atomkraft zu Klimaschützern.

Beim grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin kommt das nicht gut an. Prompt wies er die Forderungen zurück: Es bestehe "überhaupt kein Anlass, den mit der Stromwirtschaft vereinbarten Atomausstieg infrage zu stellen", so der Minister. Der aktuelle Vorstoß sei ein "untauglicher Versuch, mit alter und überholter Technik möglichst lange Geld zu verdienen".

Doch das Agieren der Wirtschaftsverbände hat System: Bei CDU und FDP stoßen sie auf Sympathie. Und so wird der Weg bereitet, um im Falle eines Regierungswechsels den Atomausstieg schnell zu kippen. Insofern dürften die Angriffe auf den Atomkonsens in den kommenden anderthalb Jahren zunehmen.

So unumkehrbar, wie Trittin es gerne darstellt, ist der Abschied von der Nuklearenergie nicht. Daran ändert auch die Mitteilung aus seinem Haus nichts, der Atomausstieg sei 2004 "einen großen Schritt vorangekommen". 2004 wurde kein einziges Atomkraftwerk abgeschaltet. Und 2003 ging mit dem Reaktor Stade überhaupt der erste Meiler seit dem Atomkonsens vom Netz. Ende April soll nun der Uraltreaktor Obrigheim folgen - als letzter Ausstiegserfolg in dieser Legislaturperiode. Die Zukunft von 17 weiteren Anlagen in Deutschland liegt in den Händen der nächsten Bundesregierung.

Die Profiteure der Atomkraft versuchen nun, gesellschaftlichen Druck aufzubauen: Ohne Atomkraft werden Energiepreise steigen und Treibhausgasemissionen zunehmen, warnen sie. Dabei kann Deutschland auch ohne Atomreaktoren seine Klimaschutzziele einhalten - durch mehr Energieeffizienz. Das Wuppertal Institut rechnete schon letztes Jahr vor, dass in Deutschland ein Viertel des Stroms ohne Komfortverlust durch Technik einzusparen ist. Dann wäre ein Großteil des hiesigen Atomstroms - er macht etwa 30 Prozent am Strommix aus - schon ersetzt. "

(Bernward Janzig, taz Nr. 7581 vom 3.2.2005, Seite 8)

Karte der Atomkraftwerke in Deutschland und Europa

Karte AKW in Europa

Der Ausstieg: Top oder Flopp?

(16.10.03) Kaum ein Thema hat die Atomkraftgegner so polarisiert.

Der Ausstieg: Top oder Flopp?

Kaum ein Thema hat die Atomkraftgegner so polarisiert, wie die Konsensbeschlüsse zum Atomenergieausstieg.

(16. Oktober 2003) Am 14.Juni 2000 unterzeichneten die Bundesregierung und vier EVUs nach zweijährigen Gesprächen ihre Vereinbarungen zum Ausstieg aus der Atomenenergie. Eigentlich ein großer Erfolg, doch in Deutschland überwiegen die kritischen Stimmen.

Die einen trauern um das vorschnelle Ende der Supertechnik. Und die Atomkraftgegner fühlen sich durch einen halbherzigen Ausstieg, der ihnen nicht weit und schnell genug geht, betrogen. Beim Lesen des Konsenspapiers wird schnell klar, dass der Atomwirtschaft eine möglichst komfortable Absicherung des Weiterbetriebs ihrer Atomkraftwerke zugesichert wurde. Der Bau neuer Atomkraftwerke war sowieso nicht geplant und der Betrieb der deutschen Atomkraftwerke war ohnehin begrenzt, auch wenn die Betriebsgenehmigungen unbefristet sind.

Zwar "respektieren die EVU die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen" und sie akzeptieren auch eine befristete Nutzung der Anlagen ohne Entschädigung. Dafür muß die Bundesregierung ihrerseits aber den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke, wie auch deren Entsorgung gewährleisten. Für viele Atomkraftgegner, die jahrelang mit guten Argumenten gegen die Atomenergie demonstriert haben, ist dieser Konsens eine herbe Enttäuschung.

letzte Änderung: 17.11.2020