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Grandiose Zielverfehlung droht

Taz vom 24. Februar 2004

Die taz im Gespräch mit Gertrude Lübbe-Wolf, 51, seit 2002 Richterin am Bundesverfassungsgericht. Davor war die Professorin als Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen tätig. Sie gilt als besonders praxisnah, weil sie jahrelang das Bielefelder Umweltamt leitete.

taz: Frau Lübbe-Wolf, bis vor kurzem hielt man den Emissionshandel für eine eher industriefreundliche Form des Umweltschutzes. Jetzt läuft die Industrie plötzlich Sturm gegen die Pläne von Umweltminister Trittin. Wer hat da etwas missverstanden?

Gertrude Lübbe-Wolf: Dass der Emissionshandel im Prinzip ein gutes Instrument ist, bestreitet niemand. Er ermöglicht, klimaschädliche CO2-Emissionen dort einzusparen, wo dies am günstigsten ist. Gestritten wird jetzt nur um die konkrete Ausgestaltung. Da kann jedes Detail viel Geld einbringen oder kosten. Deshalb der aggressive Ton.

Die Industrie hatte bereits in ihren freiwilligen Selbstverpflichtungen versprochen, CO2 einzusparen. Hätte das nicht genügt?

Inhaltlich war das alles nicht so anspruchsvoll, wie es klang. Ein Industrieverband wie der BDI kann einzelne Unternehmen zu nichts zwingen, sondern nur abfragen, was von den Verbandsmitgliedern freiwillig geboten wird. Der Emissionshandel geht nun im Wesentlichen von den zugesicherten Reduktionsmengen aus. Das neue Konzept soll also im Vergleich zu den freiwilligen Vereinbarungen nicht anspruchsvoller, sondern nur verbindlicher sein.

Warum brauchen wir einen komplizierten Emissionshandel, wenn die freiwilligen Vereinbarungen doch die gleichen Ergebnisse bringen würden?

Wäre Deutschland allein auf der Welt, würde ich in dem geplanten Emissionshandel keine Vorteile sehen. Die Industrie hält sich einigermaßen auf dem zugesagten Reduktionspfad, und notfalls hätte man da auch mit weniger aufwändigen Instrumenten noch ein wenig nachregeln können. In einer Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten droht dagegen eine grandiose Zielverfehlung.

Hier kann ein ordentlich vollzogener EU-weiter Emissionshandel gegensteuern, weiler die Gesamtmenge der erfassten Industrieemissionen wirksam deckelt. Das ist nicht nur für den Umweltschutz gut. Wenn die europäische Konkurrenz sich etwas mehr Mühe mit dem Klimaschutz geben muss, hilft das im Wettbewerb auch der deutschen Industrie.

Warum klagt die Industrie dann über Mehrbelastungen?

Zum Beispiel zankt man sich um die Grundsätze, nach denen die Emissionsrechte verteilt werden sollen.

Wie sollen sie denn verteilt werden?

Nach dem Planentwuff des Umweltministeriums richtet sich die Verteilung der Rechte in der Regel nach dem, was die Unternehmen in den Jahren 2000 bis 2002 ausgestoßen haben. Allerdings geht ein kleiner Teil der Emissionsrechte, bildlich gesprochen, in Sondertöpfe. Deshalb gibt es kleine Abstriche von dem Grundsatz, dass jeder so viel ausstoßen darf wie damals.

Was sind das für Sondertöpfe?

Aus einem Topf für "Early Action" werden die Anlagenbetreiber belohnt, die schon vor dem Jahr 2000 in Klimaschutz investiert haben. Sie erhalten zusätzliche Emissionszertifikate, die sie dann auf dem Markt verkaufen können.

Der zweite Topf ist für Newcomer. Damit neue Unternehmen gleiche Marktchancen haben, erhalten auch sie kostenlose Emissionsrechte für ihre Anlagen, und man streitet sich darüber, wie viele. Nach dem Planentwurf sollen Emissionsrechte für Newcomer nur in dem Umfang ausgegeben werden, wie sie bei modernster, energieeffizientester Technologie nötig sind. Das läuft bei Kraftwerken auf Gas hinaus.

Ist es sinnvoll, im Rahmen des Emissionshandels Gas- gegenüber Kohlekraftwerken zu bevorzugen?

Je kleiner der Sondertopf für Newcomer, desto geringer die Belastung für die übrige Industrie. Es ist deshalb im Interesse der Industrie, wenn aus diesem Sondertopf nur so viel Emissionsrechte kostenlos zu haben sind, wie ein modernes Gas- und Dampfkraftwerk benötigt.

Die Sondertöpfe nützen also auch der Industrie?

Natürlich. Es geht hier nur um die Verteilung innerhalb der Industrie; eine Mehrbelastung findet nicht statt. Industrien, bei denen CO2-Emissionen "prozessbedingt" anfallen, etwa die Chemie-und die Zementindustrie, werden außerdem besonders geschont. Sie sollen stets die Emissionsmengen der Jahre 2000 bis 2002 erhalten; ihnen wird also nichts für die Sondertöpfe abgezwackt.

Viele Unternehmen klagen über die Bürokratie, die mit dem Emissionshandel verbunden ist. Jetzt müssen sie genau erfassen, wie viel von welchem Brennstoff verbrannt wird. Ist das wirklich nötig?

Es wäre ein großer Irrtum, zu glauben, Umweltschutz mit marktwirtschaftlichen Instrumenten brauche weniger Kontrollen. Das Gegenteil ist richtig. Die Überwachung muss hier besonders streng sein, weil sonst das gesamte Handelssystem nicht richtig funktioniert.

Sind Sie nicht zu misstrauisch?

Wir appellieren immer an das Gute und wundern uns dann, wenn Unternehmen Schlupflöcher ausnutzen und schlecht kontrollierte Regeln verletzen. Da halte ich es für besser, wenn bei der Schaffung neuer Institutionen von vornherein gute Kontrollen eingeplant werden.

Im internationalen Standortwettbewerb könnte ein Staat, der seiner Industrie einen Vorteil verschaffen will, auf strenge Kontrollen verzichten...

Das ist ein ernstes Problem. Wir müssen aufpassen, dass hier nicht Scheinwelten entstehen, wo auf dem Papier große Fortschritte gemacht werden, die aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Die Möglichkeiten der EU-Kommission, das zu überwachen, sind sehr begrenzt, und Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof dauern viel zu lange. Man kann nur hoffen, dass die Umweltverbände in allen Mitgliedstaaten ein scharfes Auge haben.

Könnte der ganze CO2-Emissions-handel am Ende an der fehlenden Kontrollierbarkeit scheitern?

Das wäre sehr schade. Eigentlich ist CO2 für einen Emissionshandel besonders gut geeignet, weil es bei diesem Stoff nicht auf die örtliche Konzentration ankommt, sondern nur auf die ausgestoßene Gesamtmenge.

Wie könnte der Emissionshandel notfalls gerettet werden?

Erfolgversprechender als ein Emissionshandel, der nur bestimmte Industrieanlagen erfasst, wäre ein sektorübergreifendes Handelssystem, das alle CO2-Emissionen einbezieht, also auch Verkehr und Haushalte. Das würde die Überwachung, das ganze Regelsystem wesentlich vereinfachen. Es würden nur eine Hand voll Produzenten und Importeure von Kohle, Öl und Gas miteinander Handel treiben und die so ermittelten Kosten wie eine Steuer auf den Preis der Energieträger aufschlagen. Zugleich wäre sichergestellt, dass wir unsere Kioto-Ziele nicht nur bei der Industrie, sondern überall erreichen.

Warum hat sich dieses Modell bisher nicht durchgesetzt?

Weil es auf eine verbindliche Begrenzung für den gesamten Verbrauch von fossilen Energieträgern hinausliefe. Es wäre kaum zu prognostizieren, wie sich dann zum Beispiel der Benzinpreis entwickeln würde. Mit solchen Risiken kann die Politik schlechter leben als mit dem Risiko, dass der nur für die Industrie aufgezogene Emissionshandel nichts bringt.

Was ist denn der Unterschied zwischen Ökosteuern und Emissionshandel? Beides sind doch ökonomische Instrumente des Umweltschutzes.

Bei der Ökosteuer kennt man den Preis, weiß aber nicht, wie viel Umweltentlastung damit erzielt wird. Beim Emissionshandel ist es genau umgekehrt. Dort wird die Menge der noch zulässigen Emissionen festgelegt; man kennt also den Umwelteffekt, weiß aber nicht, wie teuer die Reduktion für Industrie und Konsumenten am Ende wird.

Was ist besser?

Das ist eine Frage der Prioritäten. Politikern ist in der Regel die Kalkulierbarkeit der ökonomischen Folgen wichtiger als die Sicherheit hinsichtlich der Umweltfolgen. Geht ökonomisch etwas schief, gibt es sofort Ärger. Beim Klimaschutz dauert es Jahrzehnte, bis sich eine zu zaghafte Haltung rächt.

Warum hat sich dann gerade jetzt der Emissionshandel durchgesetzt?

Bei den Kioto-Verhandlungen gab es starken Druck auf die Industriestaaten, sich auf eine feste Reduzierung ihres CCyAusstoßes festzulegen. Der Emissionshandel war ein guter Ausweg, um zu vermeiden, dass man damit auch dem wirtschaftlichen Wachstum eine feste Grenze setzt. Es bleibt auf diese Weise mehr Spielraum, weil notfalls immer noch aus dem Ausland Emissionsrechte zugekauft werden.

Ist das traditionelle Umweltrecht, das mit Verboten und Grenzwerten arbeitet, bald passe?

Nein. In vielen Bereichen können ökonomische Instrumente wie der Emissionshandel oder Umweltsteuern nicht sinnvoll eingesetzt werden, weil die Kosten zum Beispiel für die Überwachung viel zu hoch wären. Auf das Ordnungsrecht werden wir daher in weiten Bereichen angewiesen bleiben.

Wird es um die Zuteilung der Emissionsrechte noch viele rechtliche Auseinandersetzungen geben?

Wenn es überhaupt keine gäbe, wäre das ein Zeichen, dass das System niemanden unter Druck setzt. Wenn das so wäre, hätte es seinen Zweck verfehlt.

letzte Änderung: 26.02.2004