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Er hilft, wenn Energie unbezahlbar wird

Viele Deutsche können ihre Stromrechnung nicht bezahlen – Sozialforscher sprechen von Energiearmut. Rolf Krautter von der Caritas in Hamburg berät betroffene Haushalte. Wir haben ihn begleitet.
Von Kathinka Burkhardt

(8. September 2025) Rolf Krautter steht vor einer Tür im dritten Stock eines Hamburger Mehrfamilienhauses aus den Fünfzigern und weiß nicht, was ihn erwartet. Der silberne Koffer in seiner Hand verleiht dem 66-Jährigen etwas von einem Notarzt. Und gewissermaßen ist Krautter das auch: Als Stromcheck-Mitarbeiter der Caritas berät er einkommensschwache Haushalte – ein Ersthelfer in Sachen Energie.

Eine ältere Dame öffnet die Tür und bittet ihn ins Wohnzimmer. An den karminroten Wänden hängen alte Fotos, aus einem Ölgemälde schaut ein Tiger herab, auf dem Boden sind grüne Holzspanplatten verlegt. Krautter klappt den Koffer auf. »Ich erkläre Ihnen erst mal, was wir als Beratungsstelle machen, und dann gehen wir Ihren Stromverbrauch durch«, sagt er.

 ED 02/2025 Er hilft, wenn Energie unbezahlbar wird (S.26/27) 

Rolf Krautter vom Stromsparcheck.

Mehr als 150 Haushalte besuchen Krautter und seine fünf Kollegen vom Hamburger Stromsparcheck jedes Jahr. Das staatlich geförderte Projekt, das es deutschlandweit in 190 Städten gibt, ist neben der Beratung der Verbraucherzentralen  eines der wichtigsten Angebote für Menschen mit geringem Einkommen. Der Service ist kostenlos.

Das monatliche Bürgergeld von rund 526 Euro enthält eine Strompauschale von 45,70 Euro. Jeden Cent mehr an Stromkosten muss ein Haushalt vom übrigen Geld bestreiten. Wer darunter bleibt, kann das Geld anderweitig einsetzen. »Wer bei Strom und Wasser spart, spart direkt für den eigenen Geldbeutel«, sagt Krautter.

Der CO2-Preis belastet ärmere Haushalte stärker

Das ist umso wichtiger, als die Belastung durch Energiekosten künftig noch wachsen dürfte. Denn der CO2-Preis, mit dem der Gesetzgeber einen Anreiz zum Abschied von fossilen Rohstoffen setzen will, wird weiter steigen. Das spüren insbesondere ärmere Verbraucher, die im Schnitt einen höheren Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben als Gutverdiener. Einen Ausgleichsmechanismus wie etwa Klimageld gibt es in Deutschland allerdings nicht. Dabei sind laut einer Studie des Öko-Instituts schon jetzt gut zehn Prozent der Haushalte von Energiearmut betroffen: Sie  können aufgrund ihrer Einkommenssituation nicht nach Bedarf heizen oder sind von ihren Stromkosten übermäßig belastet. Statistisch heizen gerade diese Menschen oft mit Öl oder Gas und leben in älteren, tendenziell schlecht gedämmten Wohnungen. Viele haben als Mieter keinen Einfluss auf die Art der Heizung. Den Hausbesitzern unter ihnen fehlt das Geld für PV-Anlagen oder eine bessere Dämmung.

In Hamburg-Altona will Rolf Krautter heute Margarete Bormann helfen, die in Wahrheit anders heißt. Ihre Rente ist klein und deckt nicht alle Kosten. Ihren Stromverbrauch kennt sie nicht. In einem Papierstapel wühlt sie  nach der Abrechnung. »Das ist kein Problem, ich lese gleich ihren Zähler ab und dann rechnen wir den Verbrauch aus«, sagt Krautter.

10 % der Haushalte sind von Energiearmut bedroht
Quelle: Öko-Institut

Obwohl sich seine Kunden selbst für einen Stromsparcheck anmelden, sind sie anfangs oft nervös, manchmal beschämt. Krautter kann ihre Ängste gut nachempfinden. 2008 wurde er selbst arbeitslos. Trotz jahrelanger Berufserfahrung galt er damals als »auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar«. 2010 schließlich kam er in das geförderte Projekt der Caritas. Dort wurde er zum Stromsparexperten weitergebildet und beriet seither Hunderte Haushalte.

Deutschlandweit haben eine halbe Million Haushalte vom Stromsparcheck profitiert. »Jeder spart etwa 300 Euro und eine halbe Tonne CO2 ein – jährlich und auf Dauer«, sagt Werner Neumann, Ideengeber des Projekts und Vorstand im Bund der Energieverbraucher. »Als wir Ende der Neunzigerjahre einen kleinen Laden zur Energieberatung eröffneten, ging es darum, mit dem Sparen von Strom der Atomkraft etwas entgegenzusetzen und die damals geplanten Kohlekraftwerke überflüssig zu machen«, sagt er.  Als im Zuge der Agenda 2000 das Modell der Ein-Euro-Jobs für Arbeitslose eingeführt wurde, suchte die Stadt Frankfurt nach Ideen für passende Tätigkeiten. Neumanns Idee von der Stromsparberatung fand Anklang. Wenig später stieß mit dem katholischen Sozialverband Caritas ein Partner hinzu, der die Idee als langfristiges Projekt für Arbeitslose umsetzte.

»Jede Kilowattstunde gesparter Strom hilft«

Stromsparen ist in Neumanns Augen wichtiger denn je: »Bei den CO2-Einsparzielen, die Deutschland und die EU haben, hilft jede Kilowattstunde gesparter Strom.«

In Hamburg-Altona geht Rolf Krautter heute mit einem Block in der Hand durch jedes Zimmer. Er notiert sich Lampen, die noch keine LED-Glühbirne haben, betrachtet Elektrogeräte und gibt Tipps. Zum Schluss prüft er den Kühlschrank. Da er älter als zehn Jahre ist und eine veraltete Energieklasse hat, bekommt Bormann einen Zuschuss von 200 Euro vom Stromsparcheck, wenn sie einen neuen kauft.

In zehn Tagen wird Krautter erneut kommen und Sparmittel für Strom und Wasser mitbringen. 70 Euro darf er pro Haushalt verbauen. »Wir versuchen, mit Material zu helfen. Aber daneben kommt es auch auf das Nutzerverhalten an«, sagt er.

Auch Balkonkraftwerke sind ein Thema

Der Stromsparcheck hat sich über die Jahre weiterentwickelt. So können sich Haushalte etwa auch zu Balkonkraftwerken beraten lassen. Bis Ende 2026 ist die staatliche Förderung für das Caritas-Projekt gesichert. Mitgründer Neumann geht davon aus, dass es darüber hinaus weitergeht: »Das Thema Energiearmut ist auf EU-Ebene angekommen, und mit dem sozialen Energiefonds wird es eine Förderstruktur geben, in die der Stromsparcheck gut hineinpasst.«

Krautters Job ist nicht jedermanns Sache. Man benötige eine gute Portion Empathie. Gleichzeitig dürfe man nicht jedes Schicksal zu nah an sich heranlassen. Für den erfahrenen Berater gibt es dennoch keine bessere Aufgabe. »Das Schöne ist im Vergleich zu anderen Außendienstjobs: Wir kommen wirklich nur vorbei, um zu helfen.«

Kleines Einmaleins des Stromsparens:

  1. Handy, elektrische Zahnbürsten, Laptop: Wer Ladekabel dauerhaft stecken lässt, verbraucht unnötig Strom.
  2. Glühbirnen durch LED-Sparlampen ersetzen.
  3. Jedes Grad wärmer kostet: Bei sieben Grad lagern Lebensmittel im kalt genug, im Gefrierfach genügen minus 18 Grad.
  4. Auf Töpfen sollten Deckel ruhen. Wer die passende Menge Nudelwasser  im Wasserkocher erhitzt und umfüllt, spart Strom. Mit einem Gartopf sind 50 Prozent Ersparnis drin.
  5. Mit Heiß- und Umluft statt Ober- und Unterhitze sind oft 40 Prozent Einsparungen beim Backen drin. Noch weniger verbraucht ein Airfryer, der oft auch Brötchen aufbackt.
  6. Waschmaschine und Geschirrspüler im Eco-Programm betreiben. Das dauert zwar länger, spart aber Energie.
  7. Abschaltbare Steckdosenleisten verwenden und bei längerer Abwesenheit abstellen.

letzte Änderung: 25.11.2009