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Gutachten enthüllt Unbilligkeit Bundesweit erstes Sachverständigengutachen bestätigte die Unbilligkeit der Gaspreiserhöhungen der Bad Honnef AG

Gutachten enthüllt Unbilligkeit

Im bundesweit ersten Sachverständigengutachen zur Billigkeit von Gaspreiserhöhungen bestätigte sich die Unbilligkeit der Preiserhöhungen der Bad Honnef AG in den Jahren 2004 bis 2007. Das Gutachten ist auch von seiner Methodik her wegweisend.

(2. März 2009) Die Bad Honnef AG (BHAG) hat zwei Protestkunden auf Zahlung des vollen Gaspreises verklagt. Zufällig war einer der Beklagten selbst jahrelang Aufsichtsratsvorsitzender der AG. Die zuständige Handelskammer des Landgerichts Köln hat durch ein Sachverständigengutachten klären lassen, ob die BHAG zwischen 2004 und 2007 lediglich ihre gestiegenen Bezugskosten weitergegeben hat.

Die BHAG hat in einer sogenannten Delta-Tabelle quartalsweise die Änderung ihrer Gasbezugspreise (in Ct/kWh) und die Änderung der Arbeitspreise für Gasabnehmer gegenübergestellt. Die Aufstellung zeigt, dass die Bezugspreise stärker gestiegen sind als die Preise der Gaskunden.

Der von der Handelskammer Berlin benannte Sachverständige Kevin Canty kommt in seinem Gutachten zu einem genau entgegengesetztem Schluss. Die Methodik des Gutachtens verdient deshalb nähere Betrachtung. Die methodischen Fallstricke, die es aufdeckt, müssen auch in anderen derartigen Verfahren Beachtung finden.

Fallstrick 1: Kalkulatorische statt tatsächlicher Kosten betrachtet

Die BHAG hat in ihrer Delta-Tabelle nicht die faktisch bezahlten Bezugskosten zugrunde gelegt, sondern "kalkulatorische" Bezugskosten, also einen Schätzwert, der von den tatsächlichen Bezugskosten abweicht. In der Summe für jeweils ein Jahr stimmen kalkulatorische und tatsächliche Kosten überein. Über die einzelnen Monate verteilt ergeben sich jedoch erhebliche Abweichungen. Durchweg liegen die kalkulatorischen Kosten in der ersten Jahreshälfte über und in der zweiten Jahreshälfte unter den tatsächlichen Kosten. Deshalb sind die Änderungsraten der ersten Jahreshälfte für die kalkulatorischen Kosten höher und in der zweiten Jahreshälfte geringer.

Fallstrick 2: Nachlässe nicht eingerechnet

1997 verwöhnte Ruhrgas ihren Kunden. Die BHAG wurde für den Abschluss eines neuen 20-Jahres-Vertrags mit einer "Marketingprämie" in einstelliger Millionenhöhe belohnt. Diesen Rabatt hatte, Ironie des Schicksals, ausgerechnet der beklagte Verbraucher für die AG ausgehandelt und entgegengenommen. In den von der BHAG vorgelegten Kalkulationen fand diese Prämie keine Beachtung. Ihre Höhe teilte die BHAG auch im Gerichtsverfahren nicht mit. Faktisch bedeuten diese Sonderzahlungen einen Einkaufsrabatt, der durchaus in die Preisbildung mit einzubeziehen ist.

Fallstrick 3: Keine monatliche Betrachtung

Das Ergebnis einer Delta-Betrachtung hängt empfindlich vom zeitlichen Betrachtungsraster ab. Wechselt man zum Beispiel von einer jährlichen zu einer vierteljährlichen Betrachtung, dann können sich die Ergebnisse ins Gegenteil verkehren. Am verlässlichsten ist daher ein Gutachten, das eine monatliche Betrachtung vornimmt.

Fallstrick 4: Zuordnung von Einkaufspreisen zu Abnehmern

In der Regel bezieht ein Versorger Gas aus unterschiedlichen Quellen zu unterschiedlichen Tarifen. So beschaffen sich die meisten Unternehmen einen Großteil des Gases sehr kostengünstig über Spotmärkte. Auf der Abnehmerseite gibt es eine ähnliche Vielfalt: Großkunden beziehen Gas sehr preisgünstig. Die genaue Zuordnung von Bezugspreisen zu Abgabepreisen ist daher gar nicht durchführbar.

Das Gutachten umschiffte diese Klippe, in dem es nur die Behauptung der BHAG prüfte, man habe die Preise anheben müssen, um die gestiegenen Bezugskosten abzufangen.

Über 50 Prozent der Gasabgabe der BHAG erfolgt über die Tarife dem die beiden beklagten Protestkunden zugerechnet werden.

Fallstrick 5: Delta-Betrachtung statt Absolutbeträgen

Die Delta-Tabelle stellt nicht die Änderung der Bezugskosten, sondern der Bezugspreise dar. Doch um festzustellen, ob mit den Tariferhöhungen lediglich die erhöhten Bezugskosten weitergegeben wurden, ist ein Abgleich der erhöhten Bezugskosten (Mehrkosten) mit dem durch die Tariferhöhungen erhöhten Erlös (Mehrerlös) erforderlich. Eine präzise Abschätzung oder gar eine genaue Ermittlung einer Über- oder Unterdeckung der Bezugskosten vermag die Delta-Tabelle für sich genommen nicht zu liefern (Gutachten Seite 24). "So kann eine deutlich über der Bezugskostensteigerung liegende Tariferhöhung, welche zu Beginn des Betrachtungszeitraums vorgenommen wurde, gegen Ende dieses Zeitraums wieder zurückgenommen worden sein mit der Folge, dass bei der klägerseits summarisch durchgeführten Delta-Berechnung die Tariferhöhung der Bezugskostensteigerung zwar entspräche; unberücksichtigt bliebe bei dieser Betrachtung jedoch der Umstand, dass über einen Großteil des Betrachtungszeitraums ein Ungleichgewicht bestand, welches sich zu Lasten des Kunden auch kostenmäßig ausgewirkt hat." Hinweisbeschluss des Landgerichts Köln vom 7. Januar 2009, Az 90 O 41/07.

Ein unbilliger Tarif reicht

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, "dass die von der BHAG geforderten Tariferhöhungen spürbar über den Bezugspreiserhöhungen liegen". Dazu das Landgericht Köln in seinem Beschluss vom 7. Januar 2009: "Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es darauf an, ob die seit dem 1. Dezember 2004 bis zum 31. Juli 2007 vorgenommenen Tariferhöhungen jeweils der Billigkeit entsprechen. Das bedeutet, dass jede einzelne Tariferhöhung gesondert auf ihre Angemessenheit zu prüfen ist. Zeigt sich dabei auch nur hinsichtlich einer einzelnen der in Rede stehenden Tariferhöhungen ein Missverhältnis im Vergleich zu der für die Erhöhung zum Anlass genommenen Veränderung der Bezugskosten, so kann dieser Umstand auch die nachfolgenden von den Beklagten angegriffenen Tariferhöhungen "infizieren", sofern diese nicht zum Anlass einer Korrektur des Ungleichgewichts genommen wurden (vgl. Zuletzt BGH vom 19. November 2008, Az VIII ZR 138/07 Rn. 15). Eine solche Fernwirkung des einmal unbillig erhöhten Tarifs stellt sich insbesondere dann ein, wenn der Versorger trotz des bereits verzerrten Verhältnisses weiter die Tarife erhöht, selbst wenn diese isoliert betrachtet in einem angemessenen Verhältnis zwischen Bezugskostenerhöhung und Tariferhöhung stehen. Sogar eine spätere Umkehrung des verzerrten Verhältnisses zugunsten des zunächst Benachteiligten kann nach Auffassung der Kammer nicht dazu herangezogen werden, die infolge der Verzerrung unbillige Tariferhöhung rückwirkend zu lindern.

Fazit

Der Vergleich von Bezugspreisen und Endkundenpreisen kann je nach Rechenverfahren zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen führen, was die Angemessenheit der Preiserhöhungen anbelangt. Jeder vor Gericht befragte Zeuge, aber auch jedes Privatgutachten eines Wirtschaftsprüfers muss darlegen, ob und wie es diese Fallstricke umgangen hat.

Anmerkung: Da das Gutachten Angaben der BHAG beinhaltet, auf deren Geheimhaltung das Gericht die Prozessparteien verpflichtet hat, kann das Gutachten nicht veröffentlicht werden.

Hinweisbeschluss Landgericht Köln vom 07. Januar 2009 -Az: 90 O 41/07

Eine Frage der Zuständigkeit

Wenn Versorger und Verbraucher über die Billigkeit von Strom- und Gaspreisen streiten, sind dafür ausschließlich die Handelskammern der Landgerichte zuständig. Denn für die Beurteilung der Billigkeit kommt es auch darauf an, ob die Versorgung möglichst preisgünstig ist, wie von § 1 Abs. des Energiewirtschaftsgesetzes gefordert. Das hat der BGH am 19. November 2008 entschieden. Nach § 102 Energiewirtschaftsgesetz sind unabhängig vom Streitwert die Landgerichte zuständig, wenn die Entscheidung auch nur teilweise von Festlegungen des Energiewirtschaftsgesetzes abhängt. Die Energieversorger klagen aber lieber vor den Amtsgerichten: Dort ansässige Richter haben in der Regel weder ausreichend Zeit noch das notwendige Fachwissen, sich mit der komplexen Rechtsmaterie zu befassen. Beklagte Verbraucher und deren Anwälte sollten deshalb die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts rügen. Ein solches Vorgehen kann durchaus Erfolg haben: So folgte das Amtsgericht Erding mit Urteil vom 9. Januar 2009 dem Antrag des beklagten Verbrauchers und wies die Klage mangels Zuständigkeit ab (Az 3 C 792/ 08). Ähnliches passierte in Gießen (Landgericht Gießen, Beschluss vom 5. Dezember 2008, Az 2 O 298/08): Die zweite Zivilkammer erklärte sich für funktionell unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten an die Kammer für Handelssachen im Hause. Eine ähnliche Entscheidung fällten die Richter im Amtsgericht Landshut (Beschluss vom 30. Mai 2008 (Az 4 C 2101/07): Das Amtsgericht erklärte sich für sachlich unzuständig und verwies auf Hilfsantrag den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht Landshut.

letzte Änderung: 19.04.2023